Todesdämmerung
er das Büro zum drittenmal anrief.
Sherry sagte: »Charlie ist mit Henry Rankin im Polizeilabor und versucht herauszufinden, ob die Gerichtsmediziner etwas an diesen Leichen entdeckt haben, das uns erlaubt, eine Verbindung zu Grace Spivey herzustellen.«
»Klingt ziemlich weit hergeholt.«
»Ich denke, das ist die beste Chance, die er hat«, erklärte Sherry.
Das war auch nicht gerade eine gute Nachricht.
Sie gab ihm die Nummer, wo Charlie zu erreichen war, und er notierte sie in einem kleinen Notizbuch, das er aus der Tasche gezogen hatte.
Er rief die Ge richtsmedizin an, verlangte Charlie und bekam ihn sofort an die Leitung. Er berichtete ihm von dem Überfall auf Miriam Rankins Haus und schilderte wesentlich mehr Einzelheiten, als er Sherry Ordway gegeben hatte.
Charlie hatte das Schlimmste schon von Sherry gehört, schien aber immer noch schockiert darüber, wie schnell Grace Spivey die Scavellos aufgespürt hatte.
»Sind sie beide okay?« fragte er.
»Schmutzig und naß, aber unverletzt«, versicherte ihm Sandy.
»Dann haben wir also einen Verräter unter uns«, sagte Charlie.
»Sieht so aus. Es sei denn, man ist Ihnen gefolgt, als Sie gestern von dem Haus weggefahren sind.«
»Das ist sicher nicht der Fall. Aber vielleicht war in dem Wagen, den wir benutzten, eine Wanze.«
»Könnte sein.«
»Aber wahrscheinlich ist es nicht«, sagte Charlie. »Ich räume das ungern ein, aber wahrscheinlich haben wir einen Maulwurf unter uns. Von wo rufen Sie an?«
Anstatt es ihm zu sagen, fragte Sandy: »Ist Henry Rankin bei Ihnen?«
»Ja. Warum? Wollen Sie mit ihm reden?«
»Nein. Ich möchte nur wissen, ob er mithören kann.«
»Nicht das, was Sie sagen.«
»Wenn ich Ihnen jetzt sage, wo wir sind, dann müssen Sie das für sich behalten. Sie dürfen es niemandem sagen«, bestimmte Sandy und fügte dann schnell hinzu: »Nicht, daß ich einen Anlaß hätte, Henry zu verdächtigen. Das ist nicht der Fall. Ich vertraue Henry mehr als den meisten. Im Augenblick vertraue ich nur gar keinem außer Ihnen. Ihnen, mir und Max, denn wenn es Max wäre, hätte er den Jungen bereits erledigt.«
»Wenn wir einen faulen Apfel haben«, sagte Charlie, »dann ist es höchstwahrscheinlich eine Sekretärin oder ein Buchhalter oder so jemand.«
»Ich weiß«, sagte Sandy. »Aber ich bin für die Frau und den Jungen verantwortlich. Und mein eigenes Leben steht hier auch auf dem Spiel, solange ich mit den beiden zusammen bin.«
»Sagen Sie mir, wo Sie sind«, sagte Charlie. »Ich werde das für mich behalten und alleine kommen.«
Sandy sagte es ihm.
»Dieses Wetter... Geben Sie mir eine Dreiviertelstunde«, sagte Charlie.
»Wir werden hier nicht weggehen«, erklärte Sandy.
Er legte auf und ging zu den anderen in der Garage.
Als der Regen gestern abend eingesetzt hatte, hatte es eine Zeitlang geblitzt, aber in den letzten zwölf Stunden nicht mehr. Die meisten Stürme in Kalifornien waren viel ruhiger als solche in anderen Landesteilen. Regenfälle waren nur selten von Gewittern begleitet, und heftige elektrische Stürme kamen fast nie vor. Aber jetzt, wo die Hügel sich gefährlich mit Wasser vollgesogen hatten und die Gefahr von Erd rutschen bestand, wo die Straßen überflutet waren und die Küste von Wellen bedrängt wurde, die der Wind fast zur doppelten Höhe aufgepeitscht hatte, wurde Laguna Beach plötzlich auch von heftigen Blitz- und Donnerschlägen überfallen. Mit einem Donnerschlag, der die Mauern des Ge bäudes erzittern ließ, fuhr ganz in der Nähe ein gewaltiger Blitz in die Erde, und einen kurzen Augenblick lang war der graue Tag von grellem, flackerndem Licht erfüllt. Es pulsierte vor den offenen Türen der Garage und den schmutzigen, hochliegenden Fenstern und ließ die Schatten einen Augenblick lang zu gespenstischem Leben erwachen. Ein zweiter Blitz folgte mit einem noch heftigeren Donnerschlag, und die Scheiben klirrten in den Rahmen, dann ging ein dritter Blitz nieder, und der feuchte Asphalt vor der Tankstelle funkelte.
Joey hatte sich von seiner Mutter entfernt und sich in die Nähe der offenen Garagentür begeben. Er zuckte bei den Donnerschlägen zusammen, die jedem Blitz folgten, schien aber eigentlich keine Angst zu haben. Als der Himmel sich einen Augenblick beruhigte, schaute er zu seiner Mutter und sagte: »Wau! Gottes Feuerwerk, was, Mama? Hast du nicht gesagt, daß es das ist?«
»Gottes Feuerwerk«, pflichtete Christine ihm bei. »Geh besser von der Tür weg.«
Ein weiterer Blitz
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