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Todeseis

Todeseis

Titel: Todeseis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernward Schneider
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Ihnen hatte ich auch vorher nicht.«
    »Was schöne Frauen angeht, bin ich nicht ungefährlich«, sagte Barrett ebenso leise wie freundlich. »Nicht nur die Geister lieben die Schönheit. Sie sind ein echter Gewinn für diese Runde, Mrs. Appleton. Ich freue mich sehr, dass Sie bei uns sind.«
    Gladys fühlte sich geschmeichelt und schenkte dem Reeder ein reizendes Lächeln. Barrett besaß einen subtilen Charme, der nicht ohne Wirkung auf sie blieb. Er war ein interessanter Mann und einer, der in Betracht kam, möglicherweise ihr Reisebegleiter zu werden.
    »Das Deutsche Reich greift die Vorherrschaft der Briten auf den Weltmeeren immer offener an«, schaltete sich Astor in das Gespräch ein und lächelte vielsagend in Barretts Richtung. »Ich hoffe, Sie sind kein Spion des deutschen Kaisers.«
    »Mich interessiert nicht der deutsche Kaiser, sondern der wirtschaftliche Erfolg meines Unternehmens«, sagte Barrett.
    »Dann muss Ihr Unternehmen mindestens so gut sein wie die White Star«, sagte Astor. »Die Titanic ist bisher unübertroffen.«
    »Unter den britischen Unternehmen hat sich eine gewisse Arroganz breitgemacht«, entgegnete Barrett. »Britisch ist am besten, heißt es immer noch. Dabei ist es eine Tatsache, dass die deutschen und amerikanischen Unternehmen über die bessere Technik verfügen. Das gilt auch für die Transatlantik-Schiffslinien. Nach meinem Eindruck reicht das größte Schiff der Welt, unsere schöne Titanic, nicht an Qualität und Standard der deutschen Schiffe heran.«
    »Sie haben recht«, meldete sich nun auch Dr. Faussett zu Wort, der offenbar nicht hintanstehen wollte. »Die Deutschen sind zumindest führend, was die Dampfkraft, die Turbinen und die Stahlkonstruktion angeht. Sie verdienen es, die transatlantische Route zu beherrschen.« Woher er seine Kenntnisse hatte, erwähnte er nicht; aber anscheinend war er nicht nur auf dem Gebiet des Okkultismus bewandert.
    »Vergessen Sie uns Amerikaner nicht«, sagte Astor, »auch wir werden die Engländer bald überrundet haben.«
    Gladys fragte sich, ob sie in eine Runde antibritischer Gesinnung geraten war. Sie hatte plötzlich das komische Gefühl, als gäbe es zwischen den Teilnehmern der Séance ein Geheimnis, in das nur sie noch nicht eingeweiht war.
    Sie setzte sich neben Madeleine an den runden Tisch in der Mitte des Salons, an dem die meisten anderen Teilnehmer der Sitzung schon Platz genommen hatten, und wartete schweigend darauf, was geschehen würde.
    Der letzte Gast, der nach ihr erschien, war ein Mr. Stead, den Astor als einen erfahrenen Okkultisten vorstellte. Er war ein großer und kräftig gebauter Mann, dessen Gesicht Ehrlichkeit und Ruhe ausstrahlte.
    »Nun sind wir neun Personen«, sagte Astor. »Das ist genau die Zahl, die für die Durchführung unserer Sitzung erforderlich ist.« Er sah jeden Einzelnen in der Runde für einen Moment an und fuhr dann fort: »Ich begrüße nochmals im Namen aller Anwesenden Dr. Faussett, einen vorzüglichen Kenner der okkulten Wissenschaften, der sich bereit erklärt hat, in unserem Salon eine spiritistische Sitzung durchzuführen. Seine heutigen Experimente stehen im Dienste seiner Forschungen.«
    Dr. Faussett erhob sich.
    »Ich bin Colonel Astor sehr dankbar, dass er mir in diesem ausgezeichnet dafür geeigneten Rahmen die Gelegenheit gibt, ein Experiment durchzuführen«, sagte er. »Wobei ich vorausschicken muss, dass ich kein Wissenschaftler bin. Meine Forschungen sind privater Natur; gleichwohl bin ich bemüht, wissenschaftlichen Anforderungen zu genügen.« Er deutete auf Victoria Hoyt. »Miss Hoyt ist ein medial außerordentlich begabter Mensch und wird mir assistieren.« Er legte die Fingerspitzen seiner Handflächen aneinander. »Ich habe zunächst ein Experiment vorgesehen, das Sie davon überzeugen soll, dass neben unserer dreidimensionalen Wirklichkeit noch eine vierte Dimension existiert.« Er blickte auf seine Fingerspitzen herab und schwieg einen Moment, dann fügte er hinzu: »Der Spiritismus gilt als ein unerklärliches Phänomen, aber unerklärliche Phänomene sind nicht deshalb etwas Unnormales, weil wir sie nicht verstehen. Wo die Natur wie selbstverständlich als eine unerforschliche Welt geheimnisvoller Mächte betrachtet wird, da gibt es streng genommen nichts Unnormales. Erst wo sich der Mensch in vermeintlich objektiver Haltung der Natur als Beobachter entgegenstellt, tritt die Trennung zwischen dem Normalen und dem Außernormalen ins Bewusstsein. Diese Trennung

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