Todesengel (Gesamtausgabe)
merken und wollte am liebsten schreien, die Gotteslästerin am Hals packen und würgen, war aber wie gelähmt und so blieb ihm nichts weiter übrig, als den geistigen Unrat der Frau weiter über sich ergehen zu lassen:
„Nun sagen Sie doch schon etwas, Hochwürden! Hat es Ihnen die Sprache verschlagen? Aber so sind Sie dem Herrn sehr ähnlich, der hält sich auch meist bedeckt, wenn ein Machtwort von ihm erwartet wird! Ich könnte ihn jedenfalls erst wieder preisen, wenn er seine verdammte Zurückhaltung aufgäbe!“
Der Geistliche nahm alle Kraft zusammen und krächzte: „Warum wollen Sie eigentlich beichten, wenn Sie dem Allmächtigen zürnen? Meinen Sie, dass der Beichtstuhl der
richtige Ort ist, um sich über Gott zu erregen?“
Wieder atemlose, beängstigende Stille. Warum, fuhr es dem Priester durch den Kopf, schwieg die Bestie immer dann, wenn er ihre Sprachlosigkeit am wenigsten ertrug? Wollte sie ihn quälen, auf die Probe stellen wie einst Satan den Sohn Gottes in der Wüste?
„Tut mir leid“, hörte er sie plötzlich wispern, „ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist! Darf ich jetzt weitermachen?“ Der Kaplan wusste nicht, ob er sich freuen oder ärgern sollte, stammelte: „In Gottes Namen!“ und schon quoll das Herz der Fremden über, legte sie in ihre Beichte alles hinein, was sich in ihr angestaut hatte. Von Hoff hörte von Unduldsamkeit und Arroganz, Lügen und Verleumdungen, vor allem aber vom Hadern mit dem Schicksal und als alle großen und kleinen Sünden endlich bekannt waren, beendete sie ihre Selbstanklage mit den Worten: „Ich bereue sehr und bitte um Lossprechung!“, worauf der Kaplan sichtlich erleichtert seinen Teil zum Ritual beitrug:
„Unser Herr Jesus Christus verzeihe dir! In seiner Vollmacht befreie ich dich jetzt von jeglicher Last kirchlicher Strafen, soweit du dessen bedarfst! Dann spreche ich dich los von deinen Sünden im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen! Und als Buße betest du zehn Vaterunser und zehn Rosenkränze! Gelobt sei Jesus Christus...“
„In Ewigkeit, Amen!“, ergänzte die Frau und wollte sich erheben, überlegte es sich aus unerfindlichen Gründen aber plötzlich anders und presste ihr Gesicht an das Gitter, sodass der Kaplan die Konturen ihres Antlitzes zu erahnen meinte.
„Haben Sie etwas vergessen? Vielleicht einen kleinen Totschlag?“ Von Hoff erschrak über seinen maßlosen Zynismus und entschuldigte sich vielmals, doch schien ihm die Fremde seine Entgleisung nicht übel zu nehmen. „Ich wollte“, flüsterte sie, „noch fragen, ob ich einen Menschen töten könnte, ohne eine Todsünde zu begehen und...“
„Natürlich nicht!“, blaffte der Priester dazwischen und erhielt dafür prompt die Quittung: „Sie sind dasselbe Arschloch wie früher, Hochwürden! Und jetzt lassen Sie mich endlich ausreden! Ich will wissen, ob es für einen Mörder beim Jüngsten Gericht ausnahmsweise mildernde Umstände oder sogar einen Freispruch geben kann! Schließlich gibt es den Tyrannenmord und Graf von Stauffenberg hat doch gewiss im christlichen Sinn gehandelt, als er Hitler ins Jenseits befördern wollte! Wenn ich also einen der Strafverfolgung entkommenen Vergewaltiger umbringe und ihn so von einer Wiederholungstat abhalte, verhalte ich mich doch nicht anders als der Graf, der mit seinem Attentat unschuldige Menschen vor dem sicheren Tod bewahren wollte! Sagen Sie mir, Hochwürden, was gegen meine These spricht!“
Dem Kaplan war speiübel. Wer um Himmels Willen hatte diese Furie auf ihn gehetzt? Warum musste die Frau längst vernarbte Wunden aufreißen? War es Zufall, dass sie von der Liquidierung eines Vergewaltigers sprach oder beruhte die gesamte Beichte auf kühlem Kalkül? Hatte etwa irgendein Mitarbeiter des Bistums nach all den Jahren seinen Mund nicht halten können, sich nach übermäßigem Alkoholverzehr verplaudert? Dann hatte er womöglich eine Erpresserin vor sich, aber das wäre noch das geringste Übel.
Viel mehr beunruhigte ihn die Vorstellung, das von ihm missbrauchte Mädchen könnte zurückgekehrt sein, finster entschlossen, sich an ihm zu rächen! Von diesem Vorhaben musste er sie unter allen Umständen abbringen, wenn ihm sein Leben lieb war! Und so legte er sich ins Zeug wie noch nie, breitete alles aus, was ihm in den moraltheologischen Diskursen auf dem Priesterseminar beigebracht worden war und bat die Unbekannte inständig um Gnade für den Bösewicht. Versprach der jungen Frau für
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