Todesengel (Gesamtausgabe)
Immobilienkrise in den USA und natürlich über das Bundesligaspiel der Berliner Hertha, über das die Meinungen ebenso weit auseinander gingen wie über den zum Saisonbeginn nach Berlin gekommenen Schweizer Trainer Favre. Nur Mirjam Berndt beteiligte sich nicht an den hitzigen Diskussionen, ließ sich nur ab und zu bei den anderen blicken, um die Rückkehr des Chefs nicht zu verpassen und verzog sich dann wieder, sehr zum Unwillen Beckers, in ihr Büro. Gewiss muffelte sie seit dem persönlichen Gespräch mit ihm nicht mehr herum und kam nach seinen ersten Eindrücken auch ihren dienstlichen Pflichten wieder halbwegs nach, doch reichte das nicht aus, um von den übrigen Ermittlern wie früher akzeptiert zu werden. Wenn die Oberkommissarin nicht bald von ihrer Außenseiterposition abrückte, musste er wohl oder übel nach geeignetem Ersatz für sie Ausschau halten, auch wenn er wenige Chancen sah, für sie kurzfristig einen adäquaten Nachfolger zu finden. Aber noch war es nicht soweit, hatte er die Hoffnung nicht aufgegeben, dass Mirjam ihre persönliche Krise in absehbarer Zeit überwinden würde. Er nahm sich jedenfalls vor, sie weiter wie ein rohes Ei zu behandeln, auch wenn er mit diesem Verhalten bei ihr wieder Hoffnungen weckte, die angesichts der Machtverhältnisse in seiner Ehe illusorisch waren.
„Ich würde zu gern wissen, was unsere hohen Herren so lange beim Bischof treiben!“, meinte Thomas Scharf und lenkte die Debatte wieder in dienstliche Bahnen, erntete aber bei seinen Kollegen nur Achselzucken, weil sie ebenso im Dunkeln tappten wie er und sogar Becker, der den Kontakt zu Prälat Walshammer hergestellt hatte, allenfalls ahnte, worum es beim Treffen in der Bistumsverwaltung ging.
Immerhin gab es jetzt, ausgelöst durch die Neugier des Oberkommissars, ein neues Gesprächsthema und wenn auch niemand in der Runde der katholischen Kirche angehörte, ließ sich doch über die Haltung der Kurie zum von vielen Christen angefeindeten Ethikunterricht in den Berliner Schulen und über den in religiösen Dingen immer unnachgiebiger wirkenden Papst trefflich streiten. So bemerkten die Beamten in ihrer Diskussionswut die vom Bischöflichen Ordinariat zurückgekehrten Männer erst, als der Landeskriminaldirektor sich vernehmlich räusperte und Frankenstein zusätzlich lautstark um Ruhe bat, mit dem Erfolg, dass die Debatte schlagartig endete und Beckers Leute betreten dreinschauten.
„Ist das gesamte Team versammelt?“, fragte von Meierberg mit einer gewissen Schärfe im Ton, zog die Stirn in Falten, als er hörte, dass Mirjam Berndt sich in ihrem Büro aufhielt und eröffnete, als die herbeigerufene Oberkommissarin drei Minuten später hinzustieß, die erste Lagebesprechung der Sonderkommission, an der er persönlich teilnahm: „Wie Sie bestimmt schon wissen, kommen wir von einer Unterredung mit dem Kardinal und anderen hohen Würdenträgern der katholischen Kirche und Sie können sich gewiss denken, dass es bei dem Gespräch nicht um unsere Frömmigkeit ging, sondern um den Mord im Tiergarten!
Jedenfalls hat uns die Zusammenkunft sehr geholfen, wir haben jetzt zum ersten Mal eine heiße Spur und können den oder die Täter vielleicht schon bald dingfest machen!“ Der Landeskriminaldirektor verschnaufte einen Augenblick, beantwortete dann erste Fragen der Ermittler und schilderte anschließend ausführlich den Verlauf der Zusammenkunft im Ordinariat. Seine Ausführungen führten bei den Zuhörern zu immer größerer Unruhe und als der LKA-Boss schließlich schwieg, konnten sich die empörten Beamten nicht mehr zurückhalten.
„Unfassbar!“, stammelte Becker, „Bigottes Gesindel!“
Oberkommissar Scharf, und die vor Wut schäumende Mirjam Berndt ließ sich sogar zu Beleidigungen des Kardinals hinreißen, sodass der LKA-Chef sich genötigt sah, wieder einzugreifen.
„Ich muss Sie schon bitten“, mahnte er, „so naiv können Sie doch nicht sein, dass Sie einem Priester so etwas nicht zutrauen! Die Zeitungen waren in den letzten Jahren doch voll von Meldungen über Verfehlungen katholischer Geistlicher! Und dass die Kirchenoberen versucht haben, die Angelegenheit zu vertuschen, entspricht auch keinem ungewöhnlichen Verhaltensmuster! Ich kenne jedenfalls keine Organisation, die sich freiwillig selbst mit Schmutz bewirft! Dass ich mich trotzdem über die Würdenträger geärgert habe, steht auf einem ganz anderen Blatt, aber ich bitte Sie trotzdem inständig, die Angelegenheit diskret zu behandeln!
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