Todesengel (Gesamtausgabe)
Haus humpelte. Wenn er mit seinen Übertreibungen durchkam, ging es ihm durch den Kopf, wandten sich die Kinder vielleicht einem anderen Zeitvertreib zu und er konnte sich endlich dem Müßiggang widmen...
Becker holte sich eine Flasche Schwarzbier aus dem Kühlschrank, griff auf dem Weg zurück zum Garten nach dem Mobilteil des Telefons und machte es sich im Liegestuhl bequem, nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche und wählte Frankensteins Nummer.
„Bist du es, Egon?“, wollte der Chef von ihm wissen und Becker spürte augenblicklich die Angst, die seinen Gesprächspartner umtrieb.
„Ich bin es!“, bestätigte er und fuhr dann fort: „Eigentlich wollte ich dich nicht anrufen, doch dann fiel mir ein, dass Gunda schon unterwegs nach Baden-Baden ist und ich dachte mir, dass du ohne deine Freundin vielleicht zu grübeln anfängst! Und wenn ich dich so höre, bist du schon mittendrin in der Selbstkasteiung und machst dir dazu vor Angst in die Hose!“
„Würdest du an meiner Stelle auch!“, behauptete Frankenstein, dem erkennbar zum Heulen zumute war und weil Becker ihn drängte, endlich mit der Sprache herauszurücken, entschloss er sich, wenn auch mit einiger Verzögerung, seinen Freund und Kollegen ins Vertrauen zu ziehen, bat ihn vorher aber inständig, keiner Menschenseele etwas zu erzählen.
„Natürlich halte ich die Klappe!“, versicherte der Hauptkommissar und jetzt gab es für Frankenstein kein Halten mehr. Mit den Worten: „Ich habe euch alle beschwindelt!“ begann er seine Beichte und erzählte dann, was ihn in der Charité wirklich erwartete. Bei der Operation am Dienstag handele es sich nicht, wie auf der Fahrt von Rügen nach Berlin behauptet, um eine Lappalie, sondern um einen lebensgefährlichen Eingriff. Die Chirurgen würden ihm ein Loch in die Schädeldecke bohren und Gewebeproben aus dem Gehirn entnehmen. Die Ärzte meinten zwar, dass es sich beim Schatten auf dem Röntgenbild seines Kopfes um einen ebenso kleinen wie harmlosen Tumor handele, aber ausschließen könnten sie natürlich nichts! Gunda habe er eigentlich vor ihrer Abreise zur Juristentagung reinen Wein einschenken wollen, sich aber nicht getraut und jetzt sei er mit seinen Nerven am Ende.
Becker lag, als Frankensteins Redefluss versiegte, lange wie gelähmt da, konnte in dieser Zeit keinen klaren Gedanken fassen und war kaum zu verstehen, als er die Hiobsbotschaft schließlich kommentierte: „Das war ein klassischer Knockout! Ich nehme jetzt den teuersten Whisky aus dem Schrank, setze mich ins Auto und komme zu dir!“
Der Hauptkommissar befürchtete, dass Frankenstein sich seinem Plan widersetzen würde und beendete deshalb abrupt das Gespräch, erzählte den Töchtern, dass er dringend zu seinem Chef müsse und sie sich selbst etwas zu essen machen sollten, humpelte zu seinem Wagen und fuhr mit viel zu hoher Geschwindigkeit nach Kreuzberg, wo der Boss in einer Dachgeschosswohnung lebte. Zum Glück waren die Straßen am Sonntagnachmittag fast menschenleer und so kam er trotz seines chaotischen Fahrstils nach einer halben Stunde wohlbehalten bei Frankenstein an.
Der Chef öffnete erst nach dem vierten Läuten und Becker wollte, als er endlich vor ihm stand, seinen Augen nicht trauen. Es war erst zwei Tage her, dass er ihn zum letzten Mal gesehen hatte, doch wenn er das unrasierte Gesicht des Mannes betrachtete, die hängenden Schultern und das ungekämmte Haar, schienen seither Jahrzehnte vergangen zu sein. Wortlos umarmte er den Kollegen, löste sich nach einigen Sekunden wieder und schimpfte wie ein Rohrspatz los, obwohl er ihm in der Seele leid tat: „Was hast du angestellt? Hat dich etwa Gunda so zu Gesicht bekommen? Du siehst aus wie der letzte Penner! Und besoffen bist du auch! Meinst du, dass irgendwas besser wird, wenn du dich betrinkst? Das Gegenteil ist der Fall! Wenn du einen Tumor im Kopf hast, sind hochprozentige Getränke das Letzte, was dir bekommt! Dann kannst du dich auch gleich in die Kiste legen! Außerdem glaube ich, dass dich das Teufelszeug aggressiv macht! Also geh jetzt ins Bad, mach dich zurecht und komm wie ein Mensch zurück! Wenn ich bis dahin nicht vor lauter Frust verschwunden bin, stoße ich vielleicht auf dein Wohl an, aber du bekommst keinen Schluck mehr!“
Frankenstein sah ihn zerknirscht an, trollte sich ohne Widerspruch und Becker machte es sich auf der Couch bequem, öffnete die mitgebrachte Flasche und ließ seinen Blick durch das Wohnzimmer schweifen, bevor er den
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