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Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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zu rennen, so schnell sie konnte, war schier übermächtig.
    Dann dachte sie an Peter und blieb sitzen, saß da wie gelähmt, ließ sich Meter um Meter über die Brücke transportieren. Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis sie endlich vor der Kirche ankamen, der Fahrer hielt und ihr den Fahrpreis nannte. Siebzehn Euro. Lächerlich wenig im Grunde. Dafür hätte sie nicht erst Bargeld bestellen müssen; so viel war immer in der Trinkgeldkasse. Aber sie hatte es eben nicht gewusst. Sie wusste so vieles nicht.
    Sie gab ihm zwanzig, verstand nicht, was er meinte, als er fragte, ob sie einen Beleg wolle, stieg aus und sah ihm nach, wie er davonfuhr. Sie, allein vor der riesigen, aus der Nähe wurmstichig wirkenden Kirche. Durch einen Fluss und eine Brücke von ihrem Zuhause getrennt.
    Das hieß, es gab jetzt keinen anderen Weg mehr für sie als den zum Portal. Ihre Beine zitterten, aber sie trugen sie vorwärts. Der Metallgriff der Kirchentür lag schwer in ihrer Hand. Kühle schlug ihr entgegen, als sie das Dunkel dahinter betrat.
    Die Kirche lag leer und verlassen. Kerzen brannten, es roch nach Kellergewölbe und kaltem Weihrauch, nach Sünderschweiß und Steinstaub. Niemand da, nicht einmal das sprichwörtliche alte Mütterlein, das in Seitenkapellen für sein Seelenheil betet.
    Sie ging den Mittelgang entlang, bis ganz nach vorn zum Altar, setzte sich in die erste Bank. Es war still bis auf das Echo ihrer Schritte, das ewig nachzuhallen schien. Still und erhaben.
    Sie blickte zu dem gewaltigen Kreuz über ihr auf, an dem Jesus hing, und einen Moment lang war ihr, als sähe sie das Gesicht von Herrn Holi in seinen Zügen.
    Unsinn natürlich. Sie wusste nicht mehr, wie Florian Holi ausgesehen hatte.
    Völlige Ruhe. Als sei auf einmal alles zum Stillstand gekommen.
    Aber wenn das hier wirklich Peters Kirche war, musste er ja irgendwann auftauchen. Sie würde einfach warten. Sie verstand sich aufs Warten. Und sie hatte alle Zeit der Welt.
    Der Racheengel am Telefon! Ingo verschlug es die Sprache.
    Jetzt keinen Fehler machen. Das war womöglich die Chance seines Lebens. Die Chance zu beweisen, was in ihm steckte. Das durfte er jetzt nicht versauen.
    »Woher weiß ich, dass Sie das wirklich sind?«, fragte er zurück. Die U-Bahn rumpelte in eine Kurve. Draußen vor den Fenstern rasten die kahlen Betonwände des Tunnels vorbei.
    Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang unnachsichtig. »Verschwenden wir keine Zeit mit so etwas. Ich biete Ihnen ein Interview an. Heute. Jetzt gleich. Das können Sie schon heute Abend senden.«
    Ein Interview! Aber hoffentlich nicht per Telefon, oder? »Gut«, sagte Ingo mit angehaltenem Atem. »Wann und wo?« Wenn bloß die Verbindung nicht abriss!
    »Kommen Sie um fünfzehn Uhr dreißig zum Peter-Meding-Platz in Dahlow. Nur Sie und eine Videokamera.«
    »Meding-Platz. Eine Kamera.« Wo zum Teufel sollte er jetzt so schnell eine Kamera herbekommen? »Ich allein.«
    »Genau. Bis dann.« Weg war er.
    Ingo ließ das Telefon sinken, sah sich um, musste gegen das Gefühl ankämpfen, alles nur zu träumen. Die U-Bahn hielt, die Türen öffneten sich zischend, Leute stiegen aus, stiegen ein, die meisten mit gelangweilten Gesichtern. Manche telefonierten, andere lasen oder hörten Musik. Es roch nach Knoblauch, Parfüm und Kaugummi.
    Okay. Jetzt hieß es, das irgendwie auf die Reihe zu kriegen.
    Er sah auf sein Handy hinab. Sollte er Evelyn bitten, Kevin doch abzuholen? Oder ihn alleine nach Hause fahren lassen?
    Ganz schlechte Idee. Er hatte es ihr versprochen. Und Frauen wollten Männer, die hielten, was sie versprachen, das hatte er ja gerade unter die Nase gerieben bekommen.
    »Kevin«, sagte er und beugte sich vor. Der Junge merkte auf. »Du weißt, was ich von Beruf bin?«
    »Fernsehmoderator.«
    »Nicht ganz. Eigentlich bin ich Journalist. Reporter.«
    Der Junge nickte. »Ach so.«
    »Ein Reporter muss immer auf dem Sprung sein; muss sofort reagieren, wenn sich irgendwo was Wichtiges ereignet.«
    »Und was ereignet sich gerade?«, fragte Kevin mit einem Blick auf Ingos Handy.
    Cleveres Bürschchen. »Ich hab die Chance, eine sehr wichtige Person zu treffen und zu interviewen. Das Dumme ist, dass es jetzt gleich sein muss und ich nicht weiß, wie lange das Ganze dauern wird.«
    »Das heißt, ich soll allein heimfahren.«
    Ingo hustete. »Damit mir deine Mutter den Kopf herunterreißt? Nein, ich würde dich gern bitten, nach dem Training auf mich zu warten. Zur Not auch eine Stunde oder noch

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