Todesengel: Roman (German Edition)
Vorbesitzerin«, erwiderte Ingo und hätte sich im gleichen Moment am liebsten die Zunge dafür abgebissen, dass er auf die Provokation eingestiegen war.
Markus Neci lächelte dünnlippig. »Die wir nicht fragen können, ob das stimmt.«
Ingo sah Melanie hilflos an, aber sie sagte nichts zu seiner Unterstützung, stand nur da wie ein gemaßregeltes Kind. Die erotische Spannung, die gerade eben noch zwischen ihnen geherrscht hatte, war spurlos verpufft.
»Okay«, sagte Ingo, an Melanie gewandt. »Ich geh dann mal besser.«
»Ja«, meinte sie, ihn nur mit einem flüchtigen Blick bedenkend. Kein danke , kein ich bring dich zur Tür . Er ließ die beiden stehen, und als er die Haustür hinter sich zuzog, tat er es mit dem Gefühl, wieder einmal besiegt worden zu sein.
5
In der Straßenbahn zurück in die Stadt klingelte sein Handy. Ingo wollte es schon abschalten, weil er es im Moment nicht ertragen hätte, mit Melanie zu sprechen, erst recht nicht, falls sie sich entschuldigen wollte. Aber er sah noch rechtzeitig, dass die Nummer eines alten Bekannten angezeigt wurde, Thorsten Reuß, mit dem er vor Urzeiten gemeinsam ein Praktikum beim Rundfunk absolviert hatte.
Er zögerte trotzdem, den Anruf anzunehmen. Thorsten war seit damals durchgestartet, hatte Karriere in einem Zeitschriftenkonzern gemacht, jettete durch die Welt und schmiss mit Geld um sich. Sie hatten schon seit Jahren nicht mehr miteinander gesprochen.
Ach, was sollte es? Ein Tiefschlag mehr oder weniger, darauf kam es jetzt auch nicht mehr an. Ingo drückte die grüne Taste. »Hallo, Thorsten?«
»Hi, Ingo«, dröhnte Thorsten. »Ich steh grade im Stau – schrecklicher Verkehr heute wieder – liegt bestimmt an der Riesenbaustelle vor Neuahlsdorf – jedenfalls, ich musste grade an dich denken und hab ausnahmsweise Zeit – also: Wie geht’s dir?«
Immer noch der Alte. Redete immer noch in Bindestrichsätzen und so schnell, als gäbe es Geschwindigkeitszulage dafür. Wie es wohl war, mit einem Bentley im Stau zu stehen? »Ich sitz grad in der Straßenbahn«, begann Ingo, aber das reichte Thorsten schon als Befindlichkeitsmeldung. Er wisse, brauste er weiter, von einer Stelle, die in Kürze frei würde, hervorragend bezahlt, ob ihn das interessiere?
»Die Redakteurin geht in Elternzeit – inoffiziell weiß man bereits, dass sie nicht mehr zurückkommt – wäre also eine langfristige Sache«, erklärte Thorsten mit der Begeisterung eines Staubsaugervertreters. »Du müsstest dich nur etwas eingewöhnen – es ist eins von diesen Lifestylemagazinen – die haben ihren ganz eigenen Sound, wenn du verstehst, was ich meine.«
Mit anderen Worten, der Job würde darin bestehen, in Form von Artikeln Werbung für überteuerten, nutzlosen Kram zu machen. »Nett, dass du an mich denkst«, sagte Ingo. »Aber ich glaube, dafür bin ich nicht der Richtige.«
So schnell gab ein Thorsten Reuß nicht auf. »Nur die Ruhe, Ingo. Ich sag ja nicht, dass du dich sofort entscheiden musst. Guck es dir an – schlaf drüber. Klar, klingt auf den ersten Blick doof – andererseits bringen die unglaublich viele Interviews, und Interviews – hey, das ist doch deine Stärke!«
»Findest du?«
»Ja unbedingt«, versicherte ihm die Stimme im Ohr. »So im Alltag, da bist du zu schüchtern – das muss ich dir nicht erzählen – aber in Interviewsituationen – also, damals das Interview mit dieser Theatertussi, die dich auflaufen lassen wollte – ganz großes Kino, wie du da pariert hast!«
Ingo furchte die Stirn. So hatte er das noch nie gesehen. Okay, Interviews fielen ihm leicht, aber das ging den meisten Journalisten so, oder etwa nicht? Das Radiointerview, auf das Thorsten anspielte, hatte er des Geldes wegen gemacht. Für ein Band mit einem Gespräch, in dem die Interviewte nur blockte, hätte ihm niemand etwas gezahlt, also hatte er sich was einfallen lassen müssen. Ganz einfach.
»Oder dein Studentenjob da beim Fernsehen – diese Spieleshow – wie du mit den Gören klargekommen bist, alle Achtung, hätt ich nie im Leben gekonnt.«
»Fang nicht du auch noch davon an«, knurrte Ingo.
»Du kannst es ja als was Vorübergehendes betrachten – kein Problem«, fuhr Thorsten mit der Energie eines Intercity-Zugs fort. »Die zahlen gut – du könntest deine Reserven ein bisschen aufstocken – klar, deine Ambitionen – aber die verschwinden ja nicht. Du tust eine Weile den Deckel drauf, sammelst Druck an, und dann – Peng! Gehst du los wie eine Rakete.
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