Todesengel: Roman (German Edition)
Sassbeck.«
»Sagen Sie.«
Ingo spürte, dass er ungeduldig wurde. Niemand wusste, wie viel Zeit sie haben würden. Jeden Moment konnte eine Krankenschwester hereinkommen oder ein Arzt oder jemand von der Polizei. Jede Minute, die sie mit unnötigem Vorgeplänkel vertaten, konnte eine Minute zu viel sein.
»Haben Sie mitbekommen, was die Medien über Sie schreiben?«, fragte er und zog sein Smartphone aus der Tasche. Ihm das wegzunehmen wäre dem Polizisten vermutlich nicht einmal dann eingefallen, wenn dieser ihn leibesvisitiert hätte; Ingo hatte eine App darauf, die die früher üblichen digitalen Rekorder mühelos ersetzte.
Erich Sassbeck nickte missmutig. »Ja. Klar hab ich das mitbekommen.« Er musterte das Smartphone, als Ingo es mit aktivierter Rekorder-App auf den Beistelltisch legte. »Nehmen Sie das jetzt auf?«
»Wenn Sie nichts dagegen haben«, sagte Ingo. Er zog auch noch Block und Kugelschreiber aus der Tasche und setzte sich auf den Stuhl neben Sassbecks Krankenbett. Handnotizen plus Aufnahmegerät, das war in solchen Fällen die ideale Kombination.
»Die glauben, ich hätte die Jungen erschossen!«, stieß Sassbeck hervor, den Blick unverwandt auf das Mikrofonsymbol auf dem Bildschirm des Telefons gerichtet. »Gestern Abend war eine Labortechnikerin da und hat meine Hand untersucht. Sie hat Wattebäusche benutzt, die mit irgendeiner Chemikalie getränkt waren.« Er hob seine rechte Hand zur Nase, schnüffelte. »Man riecht es immer noch. Trotz fünfmal Händewaschen.«
»Ein Schmauchspurentest«, sagte Ingo.
»Hat sie mir auch erklärt.«
»Hat sie Ihnen auch gesagt, dass so ein Test nicht beweist, dass Sie geschossen haben?«
»Nein.« Erich Sassbeck stutzte. »Wozu macht man ihn dann?«
Aus den Augenwinkeln sah Ingo, dass Evelyn, die bis jetzt in einigem Abstand stehen geblieben war, ans Bett trat. »Das würde mich auch interessieren«, sagte sie.
»Sie können keine Waffe abfeuern, ohne dass Schmauchspuren an Ihrer Hand und Ihrer Kleidung zurückbleiben«, wiederholte Ingo, was ihm ein Kriminaltechniker einmal erklärt hatte. »Wenn man Sie mit einem Kopfschuss und mit einer Pistole in der Hand auffindet, aber keine Schmauchspuren an Ihrer Hand nachweisbar sind, dann heißt das, dass Sie nicht Selbstmord begangen haben können. Aber Schmauch – also die Verbrennungsrückstände der Treibladung einer Patrone – hält sich in der Umgebung eines Schusses sehr lange, weil es sich um feinste Schwebepartikel handelt. Man kann auch Schmauchspuren abbekommen, wenn man einfach nur einen Raum betritt, in dem eine Pistole abgefeuert worden ist.«
Sassbeck ließ sich das durch den Kopf gehen, und auf schwer definierbare Weise schien sich seine Stimmung dabei zu verändern. So, als habe er angefangen, Vertrauen zu Ingo zu fassen.
»Ich habe nicht geschossen«, sagte er schließlich. »Ganz egal, was die finden. Ich hab nicht geschossen. Aber«, fügte er rasch hinzu, als Evelyn etwas sagen wollte, »ich hätte! Wenn ich eine Pistole gehabt hätte und dazu gekommen wäre zu schießen, hätte ich es getan.«
»Erich!«, stieß Evelyn hervor.
Er warf ihr einen zornigen Blick zu. »Was? Soll es mir leidtun, dass die beiden tot sind? Es tut mir nicht leid. Kein bisschen.« Er sah Ingo an. »Schreiben Sie das ruhig so. Warum sollte es mir leidtun, ganz im Ernst? Das waren zwei widerliche, unnütze Kerle. Wenn sie jetzt nicht tot wären, wäre ich es. Und ich habe ihnen nichts getan. Verstehen Sie? Nichts. Ich habe ihnen nur gesagt, dass es nicht in Ordnung ist, diese verdammte Sitzbank zu demolieren. So etwas wird man ja wohl noch sagen dürfen, ohne dass man gleich zusammengeschlagen wird.«
Ingo nickte nur, sagte nichts. Es gab Momente, in denen es für einen Interviewer besser war, nichts zu sagen, es einfach laufen zu lassen, und dies war einer davon.
»Aber ich hatte keine Pistole«, fuhr Sassbeck fort. »Ich weiß nicht, wie sich die Polizei das vorstellt. Wenn ich eine Pistole dabeigehabt hätte, hätten sie die ja finden müssen, oder?«
Ingo nickte. »Und wer hat dann geschossen?«
Erich Sassbeck sank in sich zusammen. Starrte eine Weile ins Leere, als sei alle Kraft aus ihm gewichen.
Doch schließlich richtete er sich mit einem Seufzer wieder auf. »Das klingt jetzt idiotisch, ich weiß«, sagte er leise. »Aber es war ein Engel.«
Die Sonne erhob sich eben über den malerischen Herrenhäusern, für die der Stadtteil Wanndorf berühmt war, als der elektrisch angetriebene
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