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Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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richtigen Augenblick aufzutauchen?«
    Sassbeck hob die Schultern, verzog das Gesicht. Also tat ihm auch das weh. »Weiß nicht. Zufall vielleicht.« Er rieb sich die Brust. »Außerdem ist er nicht genau im richtigen Moment aufgetaucht. Ein paar Minuten eher wäre besser gewesen.«
    Zufall? , notierte Ingo auf seinem Block und zog einen Kreis um das Wort. Wie wahrscheinlich war es, dass jemand, der eine Pistole bei sich trug und in eine U-Bahn-Station hinabstieg, dort eine Schlägerei vorfinden würde?
    Er fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. Ihm war heiß, fast, als hätte er Fieber. Das war eine große Story, eine aufregende Story – und mehr als das.
    Ingo merkte, dass er im Begriff war, seine Distanz zu verlieren. Er taumelte am Rand dessen herum, was er bei anderen Journalisten noch als vertretbar bezeichnet hätte, und es war keineswegs ausgemacht, dass er auf die richtige Seite kippen würde.
    Aber wenn das stimmte … wenn tatsächlich eine solche Gestalt unterwegs war … wenn wahrhaftig ein Beschützer der Wehrlosen durch die Nacht zog …
    Ja, er wollte es glauben. Wollte, dass es so war.
    Weil es die Erhörung seiner stummen Gebete gewesen wäre.
    Ingo holte tief Luft. Blinzelte. Räusperte sich, warf Evelyn einen Blick zu, die steinern am Ende des Bettes stand und alles verfolgt hatte. Er musste wirklich aufpassen. Durfte sich nicht vereinnahmen lassen. Musste objektiv bleiben. Nüchtern. Sachlich.
    Aber davon abgesehen: Hatte die Welt nicht auf jemanden gewartet, der genau das tat , was der Unbekannte getan hatte?
    Er sah auf die Uhr, überschlug im Kopf die Fahrzeiten der Straßenbahn. Im Grunde hatte er, was er brauchte, oder? Er griff nach seinem Smartphone, stoppte die Aufnahme.
    »Ich danke Ihnen, Herr Sassbeck. Leider muss ich jetzt los, alles aufschreiben«, erklärte er. »Wenn ich das Interview rechtzeitig einreiche, kommt es noch in die heutige Abendausgabe. Und das sollte es, damit die Berichte von gestern nicht noch einen weiteren Tag unwidersprochen bleiben.« Er schob Telefon und Notizblock in die Tasche, stand auf und fügte, aus einem Impuls heraus, hinzu: »Das könnte eine Sensation werden.«
    Ungeschickt. Evelyn zuckte zusammen, er sah es. Und Sassbecks Miene verdüsterte sich.
    »Das ist es vor allem, was ihr Journalisten wollt, nicht wahr?«, grollte er. »Eine Sensation.«
    Ingo stand bestürzt da, wusste nicht, was er sagen sollte. »Ich bin auf Ihrer Seite, Herr Sassbeck«, wiederholte er schließlich.
    Doch die beiden sahen ihn nur traurig an.
    Egal. Er hatte keine Zeit mehr. Es würde ohnehin knapp werden. Also verabschiedete er sich ungeschickt und ging.
    An diesem Tag kam Theresa Diewers später als gewöhnlich von der Nachtschicht nach Hause. Es war wieder einmal alles drunter und drüber gegangen, und kurz vor Schichtende hatte einer der Frischoperierten angefangen, heftig zu bluten, was das Chaos dann perfekt gemacht hatte. Sie hatte den Kolleginnen von der Frühschicht geholfen, die Sauerei zu bereinigen, weil die sonst vor der Visite nicht durchgekommen wären, und jetzt war sie so erledigt, dass sie Mühe hatte, in der U-Bahn wach zu bleiben und ihre Station nicht zu verpassen.
    Als sie die Tür zu ihrer Wohnung aufschloss, empfing sie völlige Stille.
    Und dieser eigenartige Geruch. Schon wieder.
    »Alex?«, rief sie. »Bist du da?«
    Keine Antwort. Beunruhigend. Sie drückte die Tür hinter sich zu, hängte ihre Jacke auf, ließ die Tasche auf die Kommode sinken, streifte die Schuhe ab. Dann ging sie nachsehen, doch das Bett war leer. Zerwühlt, wie immer, aber kalt.
    Auf dem Tisch lag die Schachtel mit den Morphium-Tabletten, angebrochen. Geistesabwesend zählte Theresa die Blisterstreifen durch, überschlug, wie lange sie reichen würden. Nicht lange.
    Hatte er wenigstens etwas gegessen? Sie legte die Packung wieder hin, ging in die Küche. Eine der Schachteln mit pürierter Gemüsesuppe stand im Kühlschrank, zur Hälfte geleert, und eine schmutzige Kasserole im Spülbecken. Immerhin. Sie ließ heißes Wasser in den Topf laufen, um die verkrusteten Reste einzuweichen. Diese Fertigsuppen bekamen immer etwas Ekliges, wenn sie trockneten; was die Hersteller da wohl an Chemie zufügten? Besser, man wusste es nicht.
    Ihre Augen brannten. Von der langen Nacht. Höchste Zeit, dass sie ins Bett kam. Sie schleppte sich ins Bad, zog den Pullover aus, musterte sich im Spiegel. Ein erschöpftes, geisterhaftes Wesen blickte ihr entgegen. Bin das wirklich ich? ,

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