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Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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blendete man die Welt ringsum aus, hatte nur Augen für die paar Quadratzentimeter vor den eigenen Knien – die auf eigentümliche Weise wiederum eine eigene Welt bildeten. Nach ein paar Stunden sah Peter Bauer in Grashalmen Bäume, in Steinchen Felsen, in umherirrenden Ameisen urzeitliche Monster und in herumliegenden Zigarettenkippen fremdartige Bauwerke.
    In diesem geistigen Zustand stieß er auf eine einzelne schwarze Kunststofffaser, die ihm irgendwie ungewöhnlich vorkam. Er fasste sie mit seiner Pinzette, betrachtete sie unter der Lupe und fragte sich, womit er es hier zu tun hatte. Mit einer Pinselborste? Mit einem Kunsthaar aus einer Perücke? Mit bedeutungslosem Abfall?
    Einen Moment lang erwog er, das Ding einfach wegzuwerfen – was konnte eine Plastikfaser mit einem Doppelmord zu tun haben? –, aber dann überlegte er es sich anders, zog einen Probenbeutel heraus, verstaute den Fund darin, notierte Namenskürzel, Fallnummer, Datum, Uhrzeit und Planquadrat auf dem Etikett und legte den Beutel in den Kasten zu den übrigen.
    Gleich darauf stieß er auf einen winzigen Knochensplitter, der ganz frisch aussah, und vergaß die Faser wieder.
    Evelyn Sassbeck wartete schon, als Ingo vor dem Krankenhaus ankam. Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen – nicht, dass er gerannt war, nicht, dass er sich seiner über fünf Minuten Verspätung bewusst war, und vor allem nicht sein Entsetzen darüber, wie teuer heutzutage Blumensträuße waren. Er hatte im Laden den, den er zuerst ausgesucht hatte, zurückgeben und einen anderen, billigeren nehmen müssen, weil er nicht genug Geld bei sich gehabt hatte. Wir nehmen auch Kreditkarten , hatte die Verkäuferin gesagt, aber Ingo hatte nur abgewunken. Er besaß schon seit Jahren keine Kreditkarte mehr: Das Los vieler freier, unterbezahlter Journalisten, wie er wusste.
    »Alles klar?«, fragte er, und sie nickte nur wie jemand, der eine unangenehme Sache möglichst rasch hinter sich bringen will.
    Sie gingen hinein. Krankenhausgeruch, Leute in Schlafanzügen und Bademänteln, von denen manche fahrbare Infusionsständer mit sich schoben, weiße Wände mit zerschrammten Holzleisten auf Hüfthöhe, auffallend breite Türen mit elektrischen Öffnern. Ingo folgte ihr, sie kannte den Weg offensichtlich.
    Ein vierschrötiger Polizist hielt vor einem Zimmer am Ende eines Ganges Wache. Als er sie kommen sah, stand er auf und verschränkte die Arme.
    »Ich bin die Schwiegertochter«, erklärte Evelyn und streckte ihm ihren Personalausweis hin. »Ich war gestern Nachmittag schon einmal hier.«
    Der Polizist konsultierte eine Liste, fand ihren Namen, nickte und musterte Ingo.
    »Und das«, fuhr Evelyn fort, »ist mein … Partner.« Ihr winziges Zögern vor dem Wort Partner ließ Ingo nervös werden. Wie verräterisch das klang! Zweifellos würde der Polizist jetzt Verdacht schöpfen.
    Doch der sagte nur: »Dann müsste ich auch Ihren Ausweis sehen. Und was Sie in der Tasche da haben.«
    »Ähm – Wäsche vor allem«, erwiderte Ingo hastig und öffnete seine Umhängetasche. Er hatte zwei seiner eigenen Schlafanzüge hineingestopft, ein paar Unterhemden und Unterhosen, einen Notizblock und einen Kugelschreiber. Nur die letzten beiden Gegenstände gedachte er drinnen auszupacken.
    »Mmmh«, machte der Polizist, während er den Inhalt der Tasche inspizierte. »Gut. Dann noch den Ausweis, bitte.«
    Ingo reichte ihm seinen Reisepass. Der Mann notierte sich die Daten in der Liste und gab endlich den Weg frei.
    Das Zimmer, das sie betraten, war ein Einzelzimmer, was komfortabler klang, als es war. Tatsächlich fühlte man sich durch die Dimensionen – der Raum war dreimal so lang wie breit – und das hohe, vergitterte Fenster eher an eine Gefängniszelle erinnert.
    Erich Sassbeck saß aufrecht im Bett und grübelte an einem Kreuzworträtsel. Man sah ihm an, dass er einmal eine stattliche Erscheinung gewesen war, doch das Alter hatte ihn gebeugt. Er legte das Heft und den Stift beiseite, als sie hereinkamen, und blickte ihnen teils erwartungsvoll, teils abweisend entgegen. Sein Kopf war noch verpflastert, und wo er es nicht war, war die Haut übersät von gelben und blauen Flecken: zweifellos Spuren der Tritte, die er abbekommen hatte. Die linke Hand war bandagiert.
    »Ingo Praise«, stellte sich Ingo vor. »Ihre Schwiegertochter hat Ihnen gesagt, worum es geht?«
    Sassbeck nickte knapp. »Sie wollen eine Story. Wie das halt so läuft heutzutage.«
    »Ich bin auf Ihrer Seite, Herr

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