Todesengel: Roman (German Edition)
exklusive Sondermeldung kommen. Das hieß, ein Strom von Tickern, Tweets, Newslettern und sonstigen Benachrichtigungen strömte in diesen Minuten ins Netz, die Nachrichtenagenturen bekamen einen Hinweis, Werbung wurde geschaltet. Wenn das keine Reaktionen hervorrief, was dann?
Noch eine halbe Stunde.
Stimmte etwas nicht mit der Sekundenanzeige seines Computers? Die kam ihm langsamer vor als sonst.
Ingo sprang auf, eilte zum Kühlschrank. Da musste doch irgendwo eine Dose Cola sein … Ach nein, die hatte er neulich getrunken, nebenbei, Doping für eine lange Schreibnacht. Er zog eine Scheibe Wurst aus einer Packung, steckte sie sich in den Mund, kehrte kauend an den Schreibtisch zurück.
Da. Da war es. Und keine fünf Minuten später schon der erste Tweet.
Der Hammer: Ein Superheld geht um. – http://bit.ly/NCCctY
Es wurde gelesen! Ingo ballte triumphierend die Faust. Im nächsten Moment betrachtete er sie irritiert: In Filmen und Werbespots fand er diese Geste immer total lächerlich, und nun …?
Da, es folgten schon Antworten.
Endlich macht mal einer was gegen solche Scheißkerle. Die verprügeln keinen alten Mann mehr.
Yeah! Beschützer der Witwen und Waisen! #Racheengel
Das ist Selbstjustiz, @foo42! Willst du, dass demnächst jeder mit ner Knarre rumläuft und einen auf Charles Bronson macht?
Unser Waffenrecht ist immer noch zu lasch.
Polizei ist doch nur bei Demos gegen Banken präsent. Das Kapital wird geschützt, nicht der Bürger. #Racheengel
Ich glaub das nicht. Sensationsmache. Sommerloch im Herbst.
Pause. Vielleicht nur eine Gruppe von Twitterern, die sich gegenseitig folgten. Ingo wechselte in den Kommentarbereich von Abendblatt Online . Dort liefen die Beiträge schneller auf, als man mitlesen konnte.
Wenn Jugendlichen heutzutage derart langweilig ist, dass ihnen nichts anderes einfällt, als Unbeteiligte zu verprügeln, dann geschieht es ihnen recht, wenn sie eine vor den Latz kriegen , schrieb ein Peter_der_Kleine , worauf eine MutterMalteser wütend erwiderte: Es ist unerträglich zynisch, das Vorgefallene als ›eine vor den Latz kriegen‹ zu beschreiben. Diese Halbwüchsigen wurden *umgebracht*! Jeder von denen hatte eine Mutter, die jetzt um ihn trauert!
Da hätten die beiden vielleicht ein bisschen eher an ihre Mütter denken sollen , schrieb Peter_der_Kleine ungerührt zurück.
Unser Rechtssystem schützt die Täter, nicht die Opfer. Höchste Zeit, dass jemand anders die Opfer schützt , schrieb ein Bürger 1024 .
Ingo überflog eine Reihe von Postings, die einen äußerst unangenehm nationalistischen Unterton hatten. Sie kreisten nur darum, dass einer der Jugendlichen albanischer Herkunft gewesen sei; man verstand nicht wirklich, was die Schreiber der Einträge eigentlich sagen wollten.
Er überschlug den zugehörigen Diskussionsbaum, las, sah hilflos die Zahl der Kommentarseiten mit jedem Umblättern weiter anschwellen. Das Thema traf auf Resonanz, ganz klar. Die halbe Stadt schien etwas dazu zu sagen zu haben.
Bald meldeten sich auch Stimmen, die Sassbecks Aussage anzweifelten.
Das ist die dreisteste Ausrede, die ich je gehört habe , meinte ein RadikalerRationalist , und ein testdriver pflichtete ihm bei: Würde mich wundern, wenn der Typ damit durchkommt. Man lese mal genau nach, was bisher über den Fall bekannt ist. Wo soll dieser Superheld denn so plötzlich hergekommen sein? Und genau im richtigen Augenblick? Das ist doch Humbug. Der will die Leute für dumm verkaufen.
Ingo las weiter. Erstaunlich, wie viele Leute Sassbecks Geschichte nicht glaubten. Manche argumentierten derart überzeugend, dass Ingo selber ins Zweifeln kam. Ja, Sassbeck hatte geglaubt, was er gesagt hatte. Das schon. Aber was hieß das? Es konnte trotzdem alles ganz anders gewesen sein.
Das Mailprogramm meldete zwei neue Mails. Ingo sah sofort nach, aber das eine war nur ein Newsletter und das andere Spam. Was hatte er erwartet? Stellenangebote?
Er schob den Computer weg, ließ sich zurücksinken, schloss die Augen. Durchatmen. Es hatte keinen Sinn, jetzt hektisch zu werden. Er stand auf, öffnete das Fenster. Der Regen hatte aufgehört, die Sonne blinzelte müde durch graue, schwere Wolken.
Angenommen, es meldeten sich andere Zeitungen oder Magazine bei ihm. Nur mal angenommen. Was dann? Ab wann war man in der Position, feilschen zu können? Das hätte er Thorsten fragen sollen; wenn das einer wusste, dann er.
Wobei es Ingo nicht um Geld ging. Es ging darum, sich zu positionieren. Falls sich
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