Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
Vom Netzwerk:
andere Medien meldeten, konnte er vielleicht Bedingungen aushandeln, die seinen Namen, sein Anliegen bekannter machen würden. Geld ist nicht wichtig. Nur nötig. Wer hatte das gesagt? Er kam nicht darauf. Aber das traf es jedenfalls. Er hatte eine Mission: Den Wehrlosen und Gepeinigten eine Stimme zu geben. Und dieser Artikel heute – auf der Titelseite – war sein bisher größter Erfolg.
    Theresa erwachte in der stickigen Dunkelheit eines Schlafzimmers, dessen Fenster geschlossen bleiben mussten, damit man trotz des Verkehrs draußen schlafen konnte. Sie fühlte sich benommen, war verschwitzt, war immer noch müde. Aber sie wusste, dass sie nicht mehr einschlafen würde, also stemmte sie sich erschöpft hoch.
    Der heutige Morgen fiel ihr wieder ein. Mit einem Satz war sie aus dem Bett, mit zwei hastigen Bewegungen in ihrem verschlissenen rosafarbenen Morgenmantel, dann riss sie die Schlafzimmertür auf und stürmte hinüber.
    Alex war wieder da. Saß still im hohen Lehnsessel, ganz in sich gekehrt.
    Theresa blieb auf der Schwelle stehen, erschrocken von seinem Anblick. Wie dünn er war!
    »Hi«, sagte sie zaghaft.
    Er sah auf, lächelte matt. »Hi.«
    »Hast du was gegessen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich glaub, das gewöhn ich mir ab.«
    »Wo warst du?« Zwecklos, wegen des Essens zu streiten.
    »Bin rumgelaufen«, sagte er.
    »Wo denn?«
    »Weiß nicht mehr. Überall.«
    Theresa schlang den Morgenmantel fester um sich, wusste nicht, was sie sagen sollte. »Und sonst?«
    »Nichts sonst.«
    »Besuchst du irgendjemanden? Freunde?«
    »Nein.«
    »Hast du irgendwelche Lieblingsplätze, an die du gehst?«
    »Nein.«
    »Und was machst du dann?«
    »Nichts. Ich laufe herum.«
    Sie setzte ihren nackten Fuß über die Schwelle, kam näher. »Du kannst doch nicht bloß herumlaufen.«
    Alex musterte sie, als müsse er sich dieses Argument gründlich durch den Kopf gehen lassen. Dann sagte er: »Alles andere hat keinen Sinn.« Er lächelte traurig. »Nicht einmal das, was ich mache, scheint einen Sinn zu haben.«
    Theresa blieb ratlos stehen. Sie hätte ihm gern mehr gesagt, aber sie wagte es nicht. Wenn sie versuchte, Druck auf ihn auszuüben, würde er verschwinden, das wusste sie, und sie würde ihn nie wiedersehen.
    Alex sagte nichts mehr. Er schloss die Augen, legte den Kopf zur Seite und schlief ein, einfach so, vor ihren Augen. Theresa ging leise rückwärts, sah ihn dabei die ganze Zeit an. Er war so blass, dass man meinen konnte, seine Haut sei durchsichtig.
    Wie nicht von dieser Welt , dachte sie erschaudernd.
    Irgendwann rauchte Ingo der Kopf von all den Foren, Tweets und Blogposts. Er nahm die Hände von Maus und Tastatur, atmete einmal tief durch und klappte dann den Laptop einfach zu. Genug. Außerdem verhungerte er allmählich.
    Er schlüpfte in seine Jacke und stürmte aus der Wohnung, die fünf Treppen hinab, zu dem Kiosk an der Ecke. Der wurde von einem Türken betrieben, der sich nicht groß um Öffnungszeiten kümmerte, womit er Ingo oft vor nächtlichen Entbehrungen rettete. Das Abendblatt war schon da, ein dickerer Stapel als sonst. Ingo nahm gleich zwei Exemplare und einen Schokoriegel. »Soll ich jemandem mitbringen«, sagte er verlegen, als er beides an die Kasse legte. »Die zweite Zeitung, meine ich.«
    Der Kioskbesitzer hob nur gleichgültig die Augenbrauen und kassierte schweigend. Als Ingo sich umdrehte, warteten bereits zwei andere Zeitungskäufer, beide mit dem Abendblatt in der Hand.
    Das sah doch schon mal gut aus.
    Er vertilgte den Schokoriegel auf dem Weg zum Supermarkt. War nicht gut, mit leerem Magen einzukaufen. Nachdem er die Verpackung entsorgt hatte, prüfte er seinen Bargeldbestand. Ausreichend. Heute würde er nicht nur die gewohnten Vorräte ergänzen, sondern sich auch etwas gönnen. Und die Fächer mit der Verfallsware ausnahmsweise ignorieren.
    Es war viel los, als er den Laden betrat, aber als sollte es so sein, gab es Sekt im Sonderangebot. Na also. Dazu Nein zu sagen wäre dem Schicksal gegenüber respektlos gewesen.
    Als er zurück in die Wohnung kam, zwei volle Plastiktüten in Händen, weil er natürlich die Einkaufstasche vergessen hatte, blinkte der Anrufbeantworter hektisch. Die Digitalanzeige zeigte eine altersschwach zitternde 5 – fünf Anrufe, alle von Rado. Wo er sei? Er solle zurückrufen. Er solle dringend zurückrufen. So bald wie möglich. Und wieso er sein Handy ausschalte, verdammt noch mal?
    Das Handy lag neben dem Laptop. Konnte ja mal passieren.

Weitere Kostenlose Bücher