Todesengel: Roman (German Edition)
nicht am Telefon. Können wir uns treffen?«
Na, das war ja irgendwie klar gewesen, oder? »Ich weiß nicht«, meinte sie unbehaglich.
»Och, komm.«
»Wo denn?«
»Hier zum Beispiel.«
Im selben Moment, in dem er das sagte, bog er vor ihr um die Ecke, das Handy am Ohr, und sie hörte ihn zweimal.
Gülay erschrak. Ja, er breitete die Arme einladend aus, lächelte sein seltsames Lächeln … Trotzdem war ihr plötzlich mulmig. »Was soll das?«
»Hey«, rief er. »Ich hab’s akzeptiert, dass du Schluss gemacht hast. Ehrlich.«
Sie schaltete ihr Handy aus, steckte es ein. »Dann ist es ja gut.«
»Es ist bloß so«, fuhr er fort, »dass ich finde, du schuldest mir noch was.«
»Was denn?«
»Das weißt du genau.«
Gülay streckte sich, sah ihn fest an und hoffte, dass er den Zorn aus ihren Augen sprühen sah. »Du spinnst ja. Ich schulde dir überhaupt nichts, und das schon gar nicht. Geh! Hau ab! Lass mich in Ruhe!«
»Und wenn nicht?«, fragte er mit einem schrecklichen, boshaften Grinsen.
Es war ein Fehler gewesen, sich auf ihn einzulassen. Sie hatte es gewusst. Von Anfang an hatte sie gespürt, dass unter der freundlichen Oberfläche etwas Gemeines, Rücksichtsloses lauerte – etwas, das sich jetzt Bahn brach.
Sie sagte nichts mehr. Sie setzte sich in Bewegung, umrundete ihn und ging weiter, so schnell sie konnte.
Mist, dass das hier eine so verlassene Gegend war. Mist, dass es noch gut ein Kilometer war, bis die Siedlungen von Dahlow anfingen. Ganz großer Mist.
8
Enno deutete, den Tabletcomputer in der Hand, auf die unterste Stufe der Treppe, die in die U-Bahn-Station Dominikstraße hinabführte. »Hier ist er bei genau 23 Uhr, 10 Minuten und 32 Sekunden.«
Ambick klebte ein Stück weißen Klebebands auf die Kante. »Okay.« Er sah hoch, sah, wie Enno sich den Unterkiefer rieb. »Was ist?«
»Ach, nichts«, sagte Enno.
»Zahnschmerzen?«
»Nein, nicht richtig Zahnschmerzen, eher …« Enno seufzte. »Ja. Doch. Zahnschmerzen.« Er ließ das Video weiterlaufen, stoppte es sofort wieder und ging zu einer Trennfuge in der Seitenwand der Unterführung. »Hier ist er bei 10 Minuten und 41 Sekunden. Gleich darauf kommt er außer Sicht.«
»Du solltest danach schauen lassen. Ist nicht gut, wenn man so was vor sich herschiebt.« Ambick brachte das nächste Stück Klebeband an, drehte sich dann um und betrachtete die Strecke dazwischen. »Neun Sekunden. Neun Schritte, plus minus. Straffer Schritt.«
»So geht man spätabends, wenn man nach Hause will.«
»Wahrscheinlich.« Hoffentlich würde Enno es für sich behalten, falls sich die Aktion hier als peinliche Zeitverschwendung entpuppte.
»Ist es nicht schrecklich, dass es so etwas wie Zahnärzte geben muss?«
»Absolut«, meinte Ambick und ging die neun Schritte ab, versuchte, sich das dafür nötige Tempo einzuprägen.
»Allein schon der Geruch, wenn man in die Praxis kommt!«
»Noch schlimmer finde ich das Geräusch des Bohrers«, gestand Ambick. »Aber was sein muss …« Er kam zurück. »Okay. Die andere Seite.«
Sie gingen tiefer in die Station hinein, vorbei am Treppenabgang. Ambick entdeckte einen seltsam funktionslosen Haken, der von der Decke ragte. War hier womöglich mal eine weitere Kamera installiert gewesen?
Ach, das wollte er gar nicht wissen. Er würde sich nur ärgern, und helfen würde es ihnen ja doch nicht.
Enno konsultierte das Video, suchte nach einem identifizierbaren Punkt in dem langen Gang, der zum dritten Ausgang führte. Schließlich deutete er auf ein Graffiti an der Wand. »Hier. Hier ist er bei 23 Uhr, 12 Minuten und 9 Sekunden.«
»Hmm«, machte Ambick. Er musterte die Distanz zu ihren anderen Markierungen. Irgendwas stimmte da nicht. »Bist du sicher?«
Enno hielt ihm das Tablet wortlos hin. Das Video stand, der dunkle Unbekannte sah aus wie eingefroren, die Zeitmarkierung zeigte 23:12:09.
»Okay.« Während er sich bückte, um das dritte Stück Klebeband auf dem Boden anzubringen, kam ein Vater mit seinem kleinen Sohn vorbei, der wissen wollte, was die Männer da machten. »Die drehen hier bestimmt einen Film«, bekam das Kind mürrisch zur Antwort.
Ambick sah den beiden nach. Der Mann war ungefähr in seinem Alter gewesen.
Nicht drüber nachdenken.
Er richtete sich wieder auf. Hoffentlich würde das, was er vorhatte, überhaupt funktionieren, mitten am Tag, wenn jederzeit ein Strom von Fahrgästen vom Bahnsteig hochkommen konnte.
Na ja. Sie mussten es eben versuchen.
»Gut, fangen wir an«, sagte
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