Todesengel: Roman (German Edition)
beitragen soll. Das kostet mich einen Gang zum Richter. Eine Viertelstunde.«
»Wie Sie meinen«, sagte Praise. »In einer Viertelstunde können Sie dem Richter das Video auch schon im Internet zeigen.«
Ortheil funkelte ihn wütend an. »Was? Auf keinen Fall. Ich verlange, dass Sie über dieses Video Stillschweigen bewahren. Aus ermittlungstaktischen Gründen.«
»Das können Sie vergessen«, brauste Praise auf. »Sie haben mich gestern wie einen Idioten aussehen lassen. Das Video geht in zehn Minuten beim Abendblatt online, und wir verkaufen die Senderechte an jeden, der sie haben will.«
»Sie gefährden damit die Aufklärung einer Straftat!«
»Das sehe ich anders. Ich dokumentiere die Verhinderung einer Straftat. Ich dokumentiere eine Heldentat .«
»Der hier?«, rief Ortheil und zeigte auf das Standbild, das den »Engel« zeigte, beide Hände zum Schuss erhoben. »Das ist kein Held.«
»Stimmt. Sondern ein Super held.«
Die Wut des Staatsanwaltes bekam etwas Hilfloses, Peinliches. Mittlerweile wirkte er wie ein verwöhnter Junge, der jeden Moment anfangen würde, blindlings um sich zu schlagen. Ambick wünschte sich weit weg.
»Ich muss darauf bestehen«, stieß Ortheil hervor. »Rufen Sie die Redaktion an und sagen Sie –«
»Sie können mich verhaften, mehr nicht. Wobei sich, falls ich mich bis in …« – er sah auf die Uhr – »acht Minuten nicht gemeldet habe, der Anwalt von City Media in Bewegung setzen wird, um mich hier herauszuholen. Ein Artikel darüber, dass die Polizei einen Mann verhaftet, der nur die Wahrheit publik machen will, liegt schon bereit.« Praise streckte Ortheil die Arme hin, Handgelenk an Handgelenk. »Bitte sehr.«
Der Staatsanwalt musterte ihn zornig. »Gehen Sie«, sagte er schließlich. »Wir sprechen uns ein andermal wieder.«
»Wie Sie meinen.« Praise triumphierte unverhohlen. »Dann wünsche ich einen schönen Tag.«
Er ging und hinterließ eine Stille wie nach einem Bombenanschlag. Das Einzige, was sich noch bewegte, war das leicht zitternde Standbild des Videos; Ortheil selber stand wie erstarrt, dampfend vor Zorn.
Ambick tat, als bemerke er es nicht. Er nahm den defekten Laptop und sagte: »Ich bring das mal in die Technik. Vielleicht können die was auslesen, das uns weiterhilft.« Er zog den USB-Stick ab und hob ihn hoch. »Und das lass ich auch gleich untersuchen. Womöglich ist es ja eine Fälschung.«
Ortheil rührte sich immer noch nicht. Ambick ließ ihn einfach stehen und machte, dass er aus dem Büro kam.
Ingo atmete auf, als er aus dem Hauptportal hinaus auf die Straße trat. Kurz hatte er befürchtet, dieser aufgetakelte Staatsanwalt würde ihn tatsächlich in Beugehaft nehmen.
Sein Telefon klingelte. Rado. »Wo bist du?«
»In Freiheit«, sagte Ingo. »Gerade zur Tür raus.«
»Und? Wie ist es gelaufen?«
»Das mit der anonymen Mail war gut, das haben sie anstandslos geschluckt. Und der kaputte Laptop kam auch gut. Kannst deiner IT einen schönen Gruß sagen, volle Punktzahl.« Die Idee, das Video einfach noch einmal per anonymer Mail an Ingos Laptop zu schicken, hatte der Computerspezialist gehabt, der zu der Besprechung mit dem Anwalt dazugekommen war. Er hatte es auch übernommen, Ingos Festplatte entsprechend zu präparieren und sensible Daten auf eine externe Festplatte auszulagern, die Ingo auf dem Weg zur Polizei in einem Bankschließfach deponiert hatte. Nach der Besprechung hatten sie das Gerät gemeinsam geschrottet: im Schacht der Feuertreppe.
»Okay«, sagte Rado. »Dann gehen wir jetzt online.«
Gut, dachte Ingo, als er sein Telefon wieder einsteckte. Damit begann es: sein ganz persönlicher Kreuzzug für eine bessere Welt.
Es kam ihm vor, als sei die Stadt mit einem Schlag farbiger geworden.
Ingo war schon in Richtung U-Bahn unterwegs, als er es sich anders überlegte. Er würde zu Fuß gehen. Er kam so selten in die Stadtmitte, es war ein schöner Tag, vielleicht der letzte schöne Herbsttag, er hatte Zeit …
Und er musste sich sowieso einen neuen Computer kaufen. Geld hatte er jetzt ja. So gut wie, jedenfalls.
Das war ungewohnt. Und es machte, wie er feststellte, einen enormen Unterschied. Wenn man kein Geld hatte, blendete man die glitzerbunte Warenwelt weitgehend aus, waren üppig gefüllte Schaufenster nur Dekoration und Werbeplakate nur Stadttapeten. Aber nun, mit dem Wissen im Hinterkopf, dass eine für seine Verhältnisse ungeheure Summe unterwegs auf sein Konto war, kam es ihm vor, als habe man die alte Stadt
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