Todesengel: Roman (German Edition)
Nachmittag die Müllabfuhr kam. Dann sagte sie sich, dass das nicht der richtige Weg war. Sie würde mit Alex reden. Würde sich der Tatsache stellen müssen, dass ihr Bruder Drogen nahm. Und sehen, was daraus wurde.
Mutlosigkeit überkam sie, als ihr aufging, dass all das womöglich gerechtfertigt war. Dass er jedes Recht dazu hatte. Zumindest, solange er sie nicht in irgendwelche illegalen Dinge hineinzog.
Es tat weh, es so sehen zu müssen.
Sie hörte, wie der Schlüssel in die Wohnungstür gesteckt wurde, und sprang hastig auf. Unnötig, dass Alex sie hier fand.
Er kam ungewohnt schwungvoll herein, wieder in seinem schicken schwarzen Mantel, der ihm bis fast zu den Waden ging und in dem er aussah wie ein Westernheld. Es fehlt nur, dass irgendwo jemand eine melancholische Weise auf einer Mundharmonika spielt, dachte sie.
»Hi, Terry«, meinte er aufgekratzt. Er trug eine Plastiktüte in der Hand. »Na, die Nachtschichten vorbei?«
»Montagmittag muss ich einspringen«, sagte sie hastig. »Tut mir leid. Gerade werden alle krank bei uns.«
Alex grinste. »Es heißt ja auch Krankenhaus, kein Wunder.« Er öffnete die Tüte behutsam und holte einen Kaktus heraus, ein beeindruckend wirkendes Exemplar, an die zwanzig Zentimeter hoch, stachellos, mit Büscheln feiner weißer Fäden auf den Rippen.
»Wo hast du den her?«
Er zuckte mit den Schultern. »Vom Bockenfelder Markt. Ich war in dem Teil am Flussufer, wo die ganzen Wahrsager, Tätowierer und Feuerspucker ihre Stände aufbauen.« Er hob den Topf hoch. »Schön, oder?«
Theresa wickelte sich fester in ihren Morgenmantel. »Wie nennt man die? Peyote?«
Alex sah sie an und lächelte. Es war ein bestürzend inniger Moment, ein Augenblick reiner Liebe, frei von jeder erotischen Note, nur die Nähe und Vertrautheit zwischen zwei Menschen, die einander schon ein Leben lang kannten. »Lophophora williamsii«, sagte er dann sanft. »Der Peyotekaktus. Der Besitz der Pflanze ist völlig legal, die Samen sind frei erhältlich – aber wenn man sie in Stücke schneidet, macht man sich strafbar. Verrückt, oder?«
Es war in Ordnung, ermahnte sie sich. Sie würde deswegen nicht mit ihm streiten. »Und was ist da für ein Wirkstoff drin? Meskalin?« Sie erinnerte sich nur vage an den Unterricht in Drogenkunde an der Krankenpflegeschule. Natürlich hatte sie im Krankenhaus oft mit Süchtigen zu tun, aber das waren fast immer Heroinabhängige oder Leute in Methadonprogrammen.
Alex schüttelte den Kopf. »Die Pflanze enthält über fünfzig verschiedene Wirkstoffe«, erklärte er. »Meskalin ist nur einer davon. Das kann man künstlich herstellen, hat es einigermaßen erforscht, deshalb denken die Wissenschaftler, sie können etwas darüber sagen. Aber das können sie nicht. Peyote ist nicht berechenbar. Es gibt keine Formel dafür, keine simplen Rezepte. Du musst es achten, du musst den Umgang damit lernen, du brauchst einen Führer, musst die heiligen Rituale und Lieder kennen. Sonst wird es nur ein Höllentrip, der dir das Gehirn zerschießt, anstatt dass du Gott siehst.«
Theresa erschauerte. »Ist das so? Siehst du Gott?«
»Ich bin unterwegs zu ihm.«
Alex hielt inne, schien auf plötzliche Stimmen zu lauschen, die nur er hören konnte. Erst jetzt fiel ihr auf, wie groß seine Pupillen waren. Riesig.
»Ich muss wieder los«, sagte er, ging an ihr vorbei ins Wohnzimmer, stellte den Kaktus auf das vordere Fensterbrett, kam zurück und umarmte sie. Er fühlte sich heiß an. Heiß und ausgezehrt.
»Wohin musst du?«, fragte sie.
Alex schüttelte den Kopf. »Das kann ich vorher nie sagen.«
»Tschüss, Herr Mann«, rief der letzte der Jungen, ehe auch er aus der Tür stürmte. »Schönes Wochenende!«
Ehe David Mann antworten konnte, knallte die Tür schon zu, und man hörte nur noch hastiges Trappeln die Stufen hinab. Stille kehrte ein, bemächtigte sich der kahlen, weiß gestrichenen Räume. Mit dem Nachmittagskurs für Jugendliche endete die Woche; heute Abend fand kein Unterricht mehr statt, und am Samstag war ganz geschlossen. Sonntags kam tagsüber erfahrungsgemäß niemand, der allgemeine Fitnesskurs um achtzehn Uhr dagegen lief einigermaßen. Wobei da vor allem junge, allein stehende Frauen kamen, die eigentlich gar keinen solchen Kurs brauchten.
David Mann duschte kurz und sah, während er sich wieder anzog, noch rasch die Post auf seinem Schreibtisch durch. Wie es aussah, hatte er nichts Dringendes versäumt. Er kontrollierte die Fenster in
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