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Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Eltern. Erst ihr Vater an einem Herzinfarkt, schnell war es gegangen. Wenige Jahre später die Mutter, an Krebs, nicht so schnell, aber am Schluss müheloser, fast, als sei sie erleichtert gewesen, endlich gehen und ihre neurotische Tochter mit ihren Panikattacken zurücklassen zu können.
    Und immer wieder die Fotos, auf denen sie und Peter nebeneinander standen, saßen, miteinander lachten. Das eine, auf dem er sie an der Hand hielt, mit herrlicher Selbstverständlichkeit. Keine zehn Jahre alt waren sie damals gewesen. Ein Schwarz-Weiß-Foto. Sie konnte es nicht anschauen, ohne dass der Kloß in ihrer Kehle größer und größer wurde, der Druck in ihrer Brust, das Brennen in ihren Augen.
    Dass es immer dunkler wurde, war der einzige Hinweis, dass Zeit verging. Ihr Körper gab keine Signale mehr von sich, verspürte keinen Hunger, keinen Durst, kein anderes Bedürfnis, abgesehen von dem, zu weinen, das aber endlos. Sie wollte nicht weinen. Wenn sie erst einmal anfing, würde es kein Halten mehr geben. Sie würde ihr Kleid durchnässen, den Teppichboden, sie würde die unteren Stockwerke volllaufen lassen mit salzigen Tränen. Ertrinken würde sie, und niemand würde kommen, um sie zu retten. Niemand. Wie niemand je gekommen war, um sie zu retten.
    Als Ingo beim Sender ankam, war dort die Hölle los. »So viele Zuschauer wollten noch nie in eine Sendung«, erklärte der Aufnahmeleiter atemlos. »Wir haben jetzt in der Cafeteria einen Beamer aufgestellt. Für alle, die nicht mehr ins Studio passen. Diana organisiert ein paar Leute mit Handkamera und Mikro. Die sollen das aufzeichnen, vielleicht können wir das irgendwie einspielen. Meinungsumfragen und so.«
    »Aha«, machte Ingo ratlos. Was hieß das? Dass die Sendung gut ankam? »Was sagt denn Herr Törlich dazu?«
    »Der?« Bernd Spute verdrehte die Augen. »Keine Ahnung. Den habe ich schon ewig nicht mehr gesehen. Hat wahrscheinlich seit gestern Dauersitzung mit dem Vorstand. Ist jedes Jahr um diese Zeit so. Das liebe Geld halt.«
    Nicht schlecht. Das hieß, dass die beiden wichtigsten Personen, die seinen Plan durchkreuzen konnten, anderweitig beschäftigt waren. »Da fällt mir ein«, sagte Ingo und versuchte, so zu tun, als fiele ihm das tatsächlich gerade erst ein, »ich werde vielleicht während der Sendung ein Video geliefert bekommen, das ich zeigen will. Meinen Sie, es wäre möglich, einen DVD-Player auf die Bühne zu stellen, in den ich das einfach nur reinzuschieben brauche?«
    Der Aufnahmeleiter furchte die hohe Stirn. »Einspieler macht normalerweise die Bildregie«, erklärte er. »Nicht der Moderator.«
    »Es ist eine Zeitfrage«, sagte Ingo. »Ich denke halt, das wäre dramaturgisch besser so. Falls es klappt.«
    »Was ist das denn für ein Video?«
    »Es geht um den Racheengel. Mehr weiß ich auch nicht.« Glatt gelogen. Ingo hatte das Video mit dem simplen Bearbeitungsprogramm, das er auf seinem Rechner hatte, zurechtgeschnitten und auf eine DVD gebrannt.
    Der beleibte Mann schüttelte den Kopf. »Nee. Sorry. Da jetzt auf die Schnelle ein Gerät auftreiben ist das eine, es so zu verkabeln, dass es auch zuverlässig funktioniert, das andere. Sorry, da müssen wir eine andere Lösung finden.«
    Das hatte sich Ingo von vornherein gedacht. Aber Zweck der Übung war gewesen, die Diskussion von der Frage, ob das Video gezeigt werden sollte, so schnell wie möglich wegzubringen. Nun ging es nur noch darum, wie es gezeigt werden sollte, und das hieß, er hatte so gut wie gewonnen.
    Sie pilgerten zur Bildregie. Dort saß eine schlecht gelaunte, irgendwie krötenartig aussehende Frau hinter tausend Regelknöpfen, hörte sich alles kaugummikauend an und meinte schließlich nur: »Ja. Soll es halt herbringen.«
    »Falls es noch rechtzeitig ankommt«, betonte Ingo. »Drücken Sie mir die Daumen.«
    Sie sah nicht so aus, als habe sie das vor. Sie hob nur kurz die Augenbrauen und sagte: »Is’ gut.«
    Warten. Die Maske über sich ergehen lassen. Die Karten mit den Fragen hundertmal überprüfen, auf Vollständigkeit, richtige Reihenfolge, Lesbarkeit. Dann, fünf Minuten vor achtzehn Uhr, ging Ingo wieder in die Bildregie, allein diesmal, zog die DVD aus der Jackentasche, in der er sie die ganze Zeit mit sich herumgetragen hatte, gab sie der Krötenfrau und sagte: »Hier. Hat sogar schneller geklappt als gedacht.«
    »Mmmh«, knurrte sie und krallte sich das Jewel-Case. »Und wann wollen Sie das haben?«
    »Nach den beiden Gästen, so ungefähr sieben Minuten

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