Todesengel
vorzutragen.
Arnsworth erhob sich. Er war der typische Buchhalter: Er trug eine Brille und legte sehr viel Wert auf Genauigkeit; als er mit seinem dünnen Stimmchen zu sprechen begann, mußten sich alle anstrengen, um ihn zu verstehen. Zunächst bat er die Anwesenden, den Bilanzbogen aus der Informationsmappe zu nehmen, die alle Sitzungsteilnehmer am Vormittag erhalten hatten. »Eines können Sie schon auf den ersten Blick ganz deutlich erkennen«, sagte Arnsworth. »Die monatlichen Kosten sind immer noch deutlich höher als die Summe aller monatlichen Pro-Kopf-Beiträge, die uns die CMV überweist. Tatsächlich ist es sogar so, daß sich die Schere zwischen Kosten und Einnahmen noch weiter geöffnet hat, denn, wie berichtet, sind ja mehr Patienten eingewiesen worden und die Dauer ihres Aufenthalts hat sich verlängert. Außerdem machen wir mit all den älteren Patienten Verluste, die nicht bei der CMV, sondern bei Medicare, also bei einer staatlichen Einrichtung, versichert sind; und schließlich müssen wir bei all den Bedürftigen Geld zuschießen, die ganz ohne Versicherung dastehen. Die Anzahl der zahlenden Patienten oder derjenigen, die eine vernünftige Versicherung haben, ist so niedrig, daß es nicht viel bringt, mit den Kostenstellen zu jonglieren, um unsere Verluste zu kaschieren.
Als Folge dieser stetigen Verlustgeschäfte hat sich die Liquiditätslage unseres Krankenhauses dramatisch verschlechtert. Deshalb empfehle ich, unser Geld zukünftig nicht mehr für einhundertachtzig Tage, sondern nur noch für dreißig Tage anzulegen.«
»Darum habe ich mich bereits gekümmert«, verkündete Sherwood.
Während Arnsworth wieder Platz nahm, beantragte Traynor, den Bericht des Leiters der Finanzabteilung zu genehmigen. Der Antrag wurde sofort einstimmig angenommen. Dann erteilte Traynor dem Leiter der medizinischen Abteilung das Wort.
Dr. Cantor erhob sich langsam von seinem Stuhl und stützte sich mit beiden Händen auf den Tisch. Er war ein großer, stämmiger Mann mit einer käsigen Hautfarbe. Im Gegensatz zu den anderen Rednern hatte er keinerlei Notizen vor sich liegen.
»In diesem Monat gibt’s eigentlich nur ein paar Kleinigkeiten mitzuteilen«, sagte er beiläufig. Traynor sah zu Helen Beaton hinüber und schüttelte verächtlich den Kopf. Er haßte Cantors schnoddrige Art.
»Die Anästhesisten sind alle empört«, begann Dr. Cantor, »aber das ist nicht besonders überraschend. Schließlich haben sie gerade offiziell erfahren, daß das Krankenhaus ihre Abteilung übernehmen wird und sie dann nur noch ein ganz normales Gehalt bekommen sollen. Ich kann mir ganz gut vorstellen, wie die sich jetzt fühlen. Unter Hodges’ Amtszeit hab’ ich ja mal in der gleichen Situation gesteckt.«
»Glauben Sie, daß die Anästhesisten klagen werden?« fragte Beaton.
»Natürlich werden sie klagen«, antwortete Dr. Cantor. »Sollen sie doch«, schaltete Traynor sich ein. »Wir haben schließlich einen schönen Präzedenzfall geschaffen, als wir die radiologische und die pathologische Abteilung übernommen haben. Ich kann es einfach nicht fassen, daß sie uns weiterhin ihre gepfefferten Privatrechnungen ausstellen wollen, während wir von der CMV nur diese niedrigen Pro-Kopf-Beiträge bekommen. So was kann ja wohl nicht angehen!«
»Wir haben einen neuen Mann, der für die optimale Auslastung unserer Kapazitäten zuständig ist«, fuhr Dr. Cantor fort und schnitt damit ein neues Thema an. »Sein Name ist Dr. Peter Chou.«
»Und was meinen Sie? Werden wir mit Dr. Chou Probleme bekommen?« fragte Traynor.
»Kann ich mir nicht vorstellen«, sagte Dr. Cantor. »Er war nicht besonders scharf auf die Position.«
»Ich werd’ mich demnächst mal mit ihm treffen«, fügte Beaton hinzu. Traynor nickte.
»Was das medizinische Personal angeht, gibt es ansonsten nur noch eine Kleinigkeit anzumerken«, sagte Dr. Cantor. »Man hat mir berichtet, daß unser Arzt Nr. 91 während des ganzen Monats nicht ein einziges Mal betrunken zum Dienst erschienen ist.«
»Verlängern Sie trotzdem seine Bewährungsfrist«, erwiderte Traynor. »Wir wollen lieber kein Risiko eingehen. Es wäre ja nicht das erste Mal, daß er rückfällig wird.« Dr. Cantor setzte sich wieder.
Traynor fragte die Anwesenden, ob es noch weitere Punkte zu besprechen gebe. Als sich niemand meldete, beantragte er eine Vertagung der Versammlung. Dr. Cantor murmelte schnell »Vertagung beschlossen«. Nachdem auch alle anderen im Chor ihre Zustimmung bekundet
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