Todesengel
Schluß besuchte David noch Marjorie Kleber. Er hatte gehofft, daß ihr Zustand sich verbessert haben würde, doch das Gegenteil war der Fall. David war erschüttert, als er sah, daß es ihr schlechter ging als zuvor; sie lag bereits im Koma.
Er horchte nochmals ihre Brust ab. Ihre Atemwege schienen noch verschleimter als am Morgen, doch das war mit Sicherheit nicht die Ursache für ihren desolaten Zustand. Er eilte ins Schwesternzimmer und verlangte eine Erklärung dafür, daß er nicht gerufen worden war. »Wieso hätten wir Sie rufen sollen?« fragte Janet Colburn, die Oberschwester.
»Weil es meiner Patientin Marjorie Kleber verdammt schlecht geht«, brüllte David, während er in die Patientenakte eintrug, daß er eine zusätzliche Blutuntersuchung sowie eine weitere Röntgenaufnahme von Marjories Brustkorb anordnete.
Janet befragte jede einzelne Krankenschwester, die auf der Station arbeitete, und berichtete David, daß keine von ihnen an Marjories Zustand eine Veränderung bemerkt habe. Sie fügte hinzu, daß vor weniger als einer halben Stunde sogar einer der speziell ausgebildeten Pfleger in ihrem Zimmer gewesen sei, der ebenfalls nichts bemerkt habe.
»Das ist doch unmöglich!« raunzte David und griff nach dem Telefonhörer. Sosehr er anfangs gezögert hatte, andere Spezialisten um Rat zu fragen, sosehr hoffte er jetzt, daß sie so schnell wie möglich herbeigeeilt kamen. Zuerst rief David den Onkologen Dr. Clark Mieslich an, bei dem Marjorie in Behandlung gewesen war; danach telefonierte er mit Dr. Martin Hasselbaum, einem Spezialisten für Infektionskrankheiten. Mit der CMV hatte keiner von beiden irgend etwas zu tun. Schließlich bat David auch noch den Neurologen Alan Prichard um Rat; zumindest er war bei der CMV unter Vertrag.
Alle drei Spezialisten waren sofort für David zu sprechen. Als sie hörten, wie sich der Fall entwickelt hatte und wie verzweifelt David war, erklärten sie sich sofort bereit, vorbeizukommen. David rief noch schnell bei Susan an, um sie über die Situation auf dem laufenden zu halten und ihr mitzuteilen, daß sich die anderen Patienten ein wenig würden gedulden müssen.
Der Onkologe kam als erster; kurz darauf trafen auch der Spezialist für Infektionskrankheiten und der Neurologe ein. Bevor sie sich alle auf Marjorie stürzten, studierten sie zunächst die Patientenakte und diskutierten gemeinsam mit David die Situation. Dann nahmen sie gründliche Untersuchungen vor und zogen sich anschließend wieder zur Beratung zurück. Doch sie hatten kaum begonnen, Marjories Zustand zu erörtern, als die Katastrophe eintraf. »Sie hat aufgehört zu atmen«, rief eine Schwester aus Majories Zimmer herüber. Während David und die drei anderen Ärzte zu Marjorie eilten, forderte Janet Colburn die Männer vom Wiederbelebungs-Team an. Es dauerte nur wenige Minuten, bis auch sie in Zimmer 204 versammelt waren.
Da genau im richtigen Moment die richtigen Leute zur Stelle waren, konnte ganz schnell ein Intubationsschlauch gelegt und Marjorie künstlich beatmet werden. Alles verlief so schnell und reibungslos, daß sich nicht einmal ihr Pulsschlag veränderte. Alle waren zuversichtlich, daß Marjorie nur für eine sehr kurze Zeit unter Sauerstoffmangel gelitten hatte. Das Problem war ein anderes: Niemand wußte, warum sie plötzlich nicht mehr geatmet hatte.
Noch während die vier Ärzte über die möglichen Ursachen ihres Atemstillstandes diskutierten, schlug Majories Herz auf einmal langsamer und blieb dann ganz stehen. Auf dem Monitor erschien nur noch eine schaurige, gerade Linie. Die Leute vom Wiederbelebungs-Team begannen sofort mit einer Schockbehandlung, weil sie hofften, Majories Herz auf diese Weise schnell wieder in Gang zu bringen; doch es passierte nichts. Sie begannen mit der Herzmassage.
Eine halbe Stunde lang bearbeiteten sie Marjories Brustkorb. Aber ihr Herz wollte nicht einmal mehr auf die Stimulation von außen reagieren. Allmählich gab einer nach dem anderen die Hoffnung auf, daß Marjorie noch zu retten war; schließlich kamen sie überein, die Patientin für tot zu erklären.
Während die Männer des Wiederbelebungs-Teams ihre Kabel und Schläuche einpackten und die Schwestern saubermachten, ging David mit den Fachärzten zurück ins Schwesternzimmer. Er war am Boden zerstört. Ein noch schlimmeres Szenario hätte David sich kaum ausmalen können. Während er selbst sich in den Bergen von New Hampshire vergnügt hatte, war Marjorie wegen einer relativ
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