Todesfalter
schlimme Sachen machen?«
»Gott bewahre«, fuhr Anna aus ihrem Schlummer auf und räusperte sich, wie alte Frauen es tun. »Man darf niemals vom rechten Wege abweichen, nicht den winzigsten Schritt. Jawohl.« Und sie küsste das Kreuz, das um ihren Hals hing.
Maria fühlte Trotz in sich aufsteigen. »Ja, nein, das heißt, manchmal kann man etwas aus der Welt schaffen, wenn man zu dem steht, was man gesagt und getan hat. Wenn man es erklärt und …«
»… bekennt und bereut«, ergänzte Anna energisch, die hier im Haus die Sache der Mutter Merian vertrat. »Nur wenn man beichtet und bereut und so Gott und den Mitmenschen erlaubt, einem zu verzeihen. So ist es doch, Frau Gräffin.«
Während sie noch sprach, quietschte die Tür in den Angeln. Maria brauchte sich nicht umzudrehen. An Lenchens entzücktem Gesicht erkannte sie, dass Andreas hinter ihr stand und vermutlich Grimassen schnitt. Sie fühlte sich in der Falle sitzen.
Die Kleine kicherte. »Papa!«, platzte sie dann endlich heraus und streckte die Arme nach ihm aus. Herzhaft umarmte er das Kind.
Maria dachte, dass sie der Anblick mehr erfreuen müsste.
Nachdem sie miteinander ausreichend herumgealbert hatten, fragte Lenchen: »Und? Macht Papa das genauso, wenn er was angestellt hat?«
Andreas, der von ihrem Gespräch offenbar mehr mitbekommen hatte, als Maria Sibylla gedacht hatte, lächelte pfiffig. »Ja, ganz genauso macht der Papa das«, sagte er und zog ein Samtsäckchen aus seiner Tasche, das er Maria Sibylla überreichte. »Er entschuldigt sich und bereut, und dann ist alles wieder gut.« Damit küsste er Maria Sibylla, die ein wenig lustlos an dem Säckchen herumnestelte, schallend auf den Nacken. Lenchen musste lachen.
»Andreas«, flüsterte Maria erschrocken, als der Inhalt schließlich auf ihrer Hand lag. Es war ein Figürchen aus Gold, das sich an einer Kette befestigen ließ, ein Putto mit Pfeil und Bogen in der Hand. »Das ist …« der blanke Hohn, dachte Maria, und musterte entsetzt den kleinen Amor, der sie mit seinem fein ziselierten Lächeln zu verspotten schien.
»… für dich«, vollendete Andreas und küsste sie erneut. »Und schon«, fügte er an Lenchen gewandt hinzu, »ist alles gut. Vergeben und vergessen. Die ganze Sache.«
»Schön.« Lenchen verlangte nach dem Figürlein und wendete es ganz verzückt in den Fingern.
Maria verspürte nicht die geringste Lust, mit einer Gegenbeichte zu antworten.
Als sie draußen im Flur standen und die Tür zur Kinderkammer sacht hinter sich zuzogen, war sie drauf und dran, Andreas die Meinung zu sagen. Zu ihrem Erstaunen allerdings sank er vor ihr auf die Knie, bedeckte erst ihre Hand, dann, als sie sich nicht wehrte, auch ihren Schoß mit Küssen. »Nicht wahr«, murmelte er nach einer Weile mit heißem Gesicht, das er wie ein Kind an ihre Schenkel presste, »jetzt ist doch alles wieder gut.«
»Andreas, das viele Geld«, brachte Maria Sibylla heraus.
»Der Rat hat doch den Prospekt gekauft. Und was hätt ich Teureres als dich?«
Maria dachte an die Magd, die sie neu anstellen mussten, an die Schulden beim Wirt, auch beim Holzhändler, an das schadhafte Dach und an so einiges andere mehr, das zu bezahlen vernünftiger gewesen wäre. Ihr schien, die kleine Einnahme aus dem Stadtprospekt wäre schon sieben Mal verplant. Und dann: ein Schmuckstück, ein Amor als Pfand gegen Untreue! Ihr war das Kleinod jetzt schon zuwider.
Aber sie sagte nichts. Stattdessen fuhr sie ihm abwesend mit der Hand durch das Haar. Es war eine Geste aus früheren Zeiten, die einmal einem Gefühl entsprungen, jetzt aber nur noch eine schwer abzuschüttelnde Gewohnheit war.
Er allerdings schöpfte Hoffnung und begann, den Stoff ihres Kleides überall dort, wo er hingelangen konnte, mit Küssen zu bedecken, deren Hitze bis auf ihre Haut gelangte.
»Andreas …« Es drängte sie, ihm zu erzählen, was in ihr arbeitete, immer noch, auch wenn sie ihn nicht mehr für einen Mörder hielt. Von der abgerissenen Spitze wollte sie mit ihm reden, von ihrem Verdacht und von allem, was sie schon lange wusste über ihn und all die großäugigen, blonden Mädchen. Danach vielleicht würden sie von Gefühlen reden können, und vielleicht sogar von Carlo. Sie hatten beide eine Grenze überschritten, aber am Ende gab es noch Hoffnung, wenn sie ehrlich waren, wenn sie einander alles gestanden, was sie dachten und fühlten, wenn sie einander neu kennenlernten. Sie dachte an die kerzenscheinerfüllte Kammer mit dem Kind.
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