Todesfee
anzusehen. Seine Lippen waren zu dünn, die Nase schmal und gebogen. Er sprach mit einer leisen, lispelnden Stimme, die schlecht zu seinem Körperbau zu passen schien. Eine Zeile von Juvenal kam ihr in den Sinn:
fronti nulla fides
– Traue nie dem Schein.
»Bruder Caisín?«
Caisíns Augen huschten schnell von ihr zu Brehon Tuama, bevor er den Blick zu einem Punkt in der Mitte zwischen ihnen senkte.
»Ich vermute, du bist die
dálaigh
aus Cashel?«
»Deine Vermutung ist richtig, ich bin Fidelma von Cashel.«
Der Mönch seufzte und schien leicht zu erschauern.
|311| »Ich habe von deinem Ruf gehört, Schwester. Du hast ein Talent dafür, die verborgensten Dinge zu entdecken.«
Fidelma schenkte ihm ein breites Lächeln.
»Ich weiß nicht, ob das ein Kompliment sein soll, Bruder. Ich werde es als ein solches nehmen.«
»Ich muss dir etwas erzählen, bevor du es selbst herausfindest und falsche Schlüsse daraus ziehst.« Der Mönch wirkte angespannt. »Sagt dir der Name Caisín von Inis Geimhleach etwas?«
Fidelma runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf.
»Ich kenne Inis Geimhleach, es ist eine kleine Ansiedlung auf einer abgeschiedenen Insel inmitten des Loch Allua, ein wildes und idyllisches Fleckchen Erde.«
Neben ihr gab Brehon Tuama plötzlich einen triumphierenden Laut von sich und schnippte mit den Fingern.
»Caisín … Ich habe die Geschichte gehört. Caisín war ein Krieger, der zum Dieb wurde. Vor zehn Jahren befand man ihn für schuldig, die Kirche von Inis Geimhleach bestohlen zu haben. Er bekundete Reue für seine Tat, trat in den Dienst der Kirche und verschwand …«
Brehon Tuama verstummte. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, während er den Ordensbruder vor sich musterte.
Fidelma brachte seinen Gedankengang zu Ende: »Caisín von Inis Geimhleach? Willst du sagen, dass du der bist?«
Der Mönch senkte den Kopf und nickte.
Brehon Tuama wandte sich mit zufriedenem Blick zu Fidelma. »In diesem Fall, Schwester …«
Fidelma brachte ihn mit einem warnenden Blick zum Schweigen.
»Weshalb verrätst du uns das jetzt, Caisín?«
»Ich habe für mein Verbrechen Buße getan und tue seither |312| meinen Dienst in der Abtei von Cluain. Du könntest es herausfinden und voreilig falsche Schlüsse daraus ziehen.«
»Und warum hast du es nicht schon vorher offenbart, als der Brehon dich befragt hat?«, wollte Fidelma wissen.
Caisín wurde rot.
»Man tut nicht immer das Richtige im richtigen Moment. Seit gestern hatte ich Zeit, noch einmal gründlich über alles nachzudenken. Mir ist klargeworden, dass es töricht war, nicht vollkommen aufrichtig gewesen zu sein. Selbst wenn es mit der jetzigen Angelegenheit nichts zu tun hat.«
Fidelma seufzte.
»Nun, unter diesen Umständen gereicht dir deine Offenheit zur Ehre. Erzähle mir mit deinen eigenen Worten, was geschah, als du die Leiche Muirenns, der Frau des Schmieds, fandest.«
Caisín breitete hilflos die Arme aus.
»Das ist nicht sehr kompliziert. Mein Abt sagte mir, dass er vor einiger Zeit ein neues Silberkreuz für unseren Hochaltar bei Findach dem Schmied in Auftrag gegeben habe. Er wies mich an, nach Droim Sorn zu gehen, um es abzuholen.«
»Wie wurde Findach entlohnt?«, fragte Fidelma.
Caisín blickte verwirrt drein.
»Der Abt hat keinen Lohn erwähnt. Er bat mich einfach nur, herzukommen und das Kreuz abzuholen. Da es für den Hochaltar bestimmt war, dachte ich mir, dass es schwer sein würde, deshalb bat ich um die Erlaubnis, einen der Esel der Abtei nehmen zu dürfen. Ich bin früher schon einmal in Droim Sorn gewesen, deshalb wusste ich, wo ich Findachs Schmiede finden würde.«
»Du gingst direkt zur Schmiede?«, erkundigte sich Fidelma.
»Aber ja. Wohin sonst sollte ich gehen, um das Kreuz abzuholen?«
»In der Tat, wohin? Und dann?«
|313| »Findach war bei der Schmiede. Als ich ankam, sagte er mir, das Kreuz sei in seinem Haus, und ich solle dorthin vorausgehen. Er wollte mir folgen, sobald er das Feuer in der Esse gelöscht hatte.«
»War sonst noch jemand bei der Schmiede, als du ankamst?«
»Nein … das heißt, ich habe einen Mann wegreiten sehen.«
»Ich nehme an, du weißt nicht, wer es war?«
Zu ihrer Überraschung nickte Bruder Caisín.
»Ich erkannte ihn später als Odar, den Stammesfürsten. Er hatte seine Jagdhunde bei sich. Ich verließ Findach also und ging zum Haus. Die Tür stand einen Spalt offen, als ich ankam. Ich sah Kleider auf der Erde liegen. Ich stieß die Tür auf, und dann
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