Todesfee
brüskiert hinzu: »Aber du darfst mir deine Fragen stellen, bevor du wieder aufbrichst.«
Fidelmas Mundwinkel zuckten leicht vor Verärgerung, und sie schüttelte kurz den Kopf.
»Vielleicht sagst du das, weil du nicht als Anwalt ausgebildet bist und daher nicht weißt, was vom Gesetz gefordert wird. Ich werde meine Nachforschungen jedoch so durchführen, wie das Gesetz es vorschreibt. Und ich werde erst aufbrechen, wenn ich meine Untersuchung abgeschlossen habe.« Sie hielt inne, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, und fuhr dann freundlicher fort: »Lass uns damit beginnen, dass du mir noch einmal mit allen Einzelheiten berichtest, wie der Ehrwürdige Gelasius gestorben ist.«
Pater Maílín versuchte seinen Ärger zu verbergen. Sein Blick war starr. Einen Moment lang schien es, als wolle er ihr widersprechen. Dann erkannte er offenbar, dass dies vergeblich wäre. |358| Ihm blieb wohl nichts weiter, als ihre Autorität anzuerkennen, wie sehr ihm das auch widerstreben mochte. Er lehnte sich etwas steif auf seinem Stuhl zurück. Seine Stimme war monoton und ließ keine Gefühlsregung erkennen, als er wieder zu sprechen begann.
»Es war am Sontagmorgen. Bruder Gormgilla ging zum Ehrwürdigen Gelasius, um ihn zu wecken. Da Gelasius schon ein gesegnetes Alter hatte, benötigte er morgens ein wenig Unterstützung. Bruder Gormgilla war dafür zuständig, ihm beim Aufstehen und Anziehen zu helfen und ihn in die Kapelle zum Morgengebet zu begleiten.«
»Ich weiß, dass Bruder Gelasius bereits sehr betagt war«, warf Fidelma ein, denn das war allgemein bekannt. »Bruder Gormgilla ging also am Sonntagmorgen zur Zelle des Ehrwürdigen Gelasius. Was geschah als Nächstes?«
»Das ist schnell erzählt. Gormgilla betrat die Zelle und fand den Ehrwürdigen Gelasius an einem Deckenbalken direkt über seinem Bett erhängt vor. Außerdem stellten wir fest, dass sein Rosenkranz entwendet worden war. Auch aus der Kapelle, die neben der Zelle des Ehrwürdigen Gelasius liegt, fehlten einige wertvolle Gegenstände.«
»Wurde das bemerkt, nachdem Bruder Gormgilla den Leichnam des Ehrwürdigen Gelasius entdeckt und daraufhin die Gemeinschaft geweckt hatte?«
»Ja.«
»Und deine Schlussfolgerung daraus war …?«
»Diebstahl und Mord. Das habe ich dem Abt in meinem Bericht mitgeteilt.«
»Und wem schreibst du diesen Diebstahl und Mord zu?«
»Das steht auch in meinem Bericht an den Abt.«
»Bring es mir noch mal in Erinnerung.« Fidelma blieb beharrlich.
|359| »An den beiden Tagen vor dem Tod des Ehrwürdigen Gelasius hatten Reisende im nahegelegenen Wald ihr Lager aufgeschlagen. Es waren Söldner, Krieger, die sich von jedem anheuern lassen, der sie bezahlt. Sie hatten ihre Frauen und Kinder bei sich. Wie du weißt, ist unsere Gemeinschaft nicht von Schutzwällen umgeben. Unsere Siedlung liegt offen da, und wir haben es nie für nötig befunden, uns gegen Angreifer abzusichern. Denn wer, so dachten wir, sollte unserer kleinen Gemeinschaft schon Schaden zufügen wollen?«
Fidelma überging diese Frage als rhetorisch.
»Du behauptest also, dass die fahrenden Söldner bei Nacht in eure Siedlung eingedrungen seien, um die Kapelle auszurauben.« Sie überlegte sich jedes Wort, das sie sagte, ganz genau. »Der Ehrwürdige Gelasius sei durch sie geweckt worden, er sei nachschauen gegangen und sie hätten den alten Mann angefallen und ihn am Deckenbalken seiner Zelle erhängt und ihm zudem noch den Rosenkranz weggenommen.«
»So ist es. Es ist weniger eine Behauptung als eine logische Schlussfolgerung.«
»Wirklich?« Fidelma musterte Pater Maílín von oben bis unten, und er glaubte, unterdrückten Sarkasmus in ihrem Gesicht zu erkennen.
Er starrte sie trotzig an, schwieg aber.
»Kommt es dir nicht seltsam vor«, begann Fidelma erneut, »dass ein alter Mann, dem man morgens beim Aufstehen helfen und den man in die Kapelle begleiten musste, sich mitten in der Nacht erhebt, weil er seltsame Geräusche hört, und allein zur Kapelle geht, um nachzusehen?«
Pater Maílín zuckte mit den Schultern.
»Geschieht es nicht oft, dass Menschen in Extremsituationen Außerordentliches vollbringen? Dinge, die ihrer Persönlichkeit widersprechen oder die ihre Fähigkeiten übersteigen?«
|360| »Soviel ich weiß, war der Ehrwürdige Gelasius beinahe neunzig. In diesem Fall …« Fidelma breitete vielsagend die Hände aus.
»In seinem Fall überrascht es mich nicht«, bekräftigte Pater Maílín. »Er war zwar gebrechlich, doch er
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