Todesfee
dass die Schatulle nicht an der üblichen Stelle stand. Man schickte nach dem Verwalter und …«
|121| »Man schickte nach dem Verwalter?«, fragte Fidelma rasch dazwischen. »Wo war er, als alle anderen zurückkamen?«
»Im Verwalterhaus, das in der Nähe der Königsburg steht.«
»Aber der Verwalter wusste doch gewiss, dass seine Anwesenheit in der Burg erforderlich sein würde, sobald der König und sein Gefolge wieder dort waren?«
»Er wusste wahrscheinlich noch nicht, dass sie zurückgekehrt waren«, versicherte ihr Firbis.
Fidelma lächelte kurz. »Er wusste es nicht? Wieso nicht, er ist doch mit ihnen zurückgekehrt?«
Firbis betrachtete sie mit ausdrucksloser Miene und antwortete nicht.
»Du hast vorhin gesagt, dass der gesamte Hofstaat des Königs zum Hurley-Spiel gegangen war und dass Sochla allein in der Burg zurückblieb«, erklärte Fidelma.
»Das stimmt. Sie blieb allein in der Burg des Königs zurück.«
»Aber der Verwalter, der Mann namens Feranaim, wollte sich offensichtlich nicht das Spiel ansehen und hat sich in der Nähe der Burg aufgehalten?«
Weder Firbis noch Morann antworteten.
Fidelma überlegte einen Augenblick. »Ist der Brehon darauf eingegangen?«
Druimcli
Firbis zuckte die Achseln. »Musste er das?«
»Ich würde sagen, das war dringend notwendig.«
»Warum?«
»Weil das den gesamten Fall in Frage stellt. Es zeigt nicht nur, dass Sochla nicht die einzige Person war, die die Schatulle hätte nehmen können, und ebenso ihr Liebhaber nicht. Auch der Verwalter war nicht weit weg. Was ist, wenn Sochla recht hatte? Was ist, wenn sie und ihr Geliebter anderweitig beschäftigt waren und der Verwalter sich in die Burg schlich, die Schatulle |122| stahl und aus unbekannten Gründen unter dem Bett der jungen Frau versteckte?«
»Wenn, wenn, wenn. Das sind sehr viele ›Wenns‹, Fidelma.«
»In diesem Fall ist alles ungewiss oder wird nur angenommen.« Fidelma ließ sich nicht von ihrer Meinung abbringen. »Hat man den Verwalter nach seiner Herkunft gefragt?«
»Nicht direkt«, bestätigte Firbis.
»Was soll das heißen?«
»Dass man den Verwalter nicht danach gefragt hat«, blaffte Firbis.
Fidelma überlegte einen Augenblick. »Und hat man Sochla zu ihrer Beziehung zu Feranaim gefragt?«
»Ihrer Beziehung?«
»Stand sie mit dem Verwalter auf freundschaftlichem Fuß?«
Firbis schüttelte den Kopf.
Irgendetwas ließ Fidelma weiterbohren.
»Hat sie irgendetwas über Feranaim gesagt?«
»Der Brehon hielt ihre Aussage zu Feranaim für unzulässig.«
»Aber was hat sie gesagt?«
»Sie behauptete, Feranaim hätte versucht, sie zu verführen, und sie hätte ihn zurückgewiesen. Sie behauptete, dass er sie deshalb hasste.«
Fidelma holte tief Luft.
»Mir scheint jetzt, dass mehrere Personen ein Motiv und eine Gelegenheit hatten«, sagte sie kühl. »Aus welchem Grund hat der Brehon Sochlas Aussage zu Fernaim für unzulässig erklärt?«
Der
druimcli
setzte sich auf seinem Stuhl zurecht.
»Der Brehon hat den Gesetzestext
Berrad airechta
zitiert. Ich nehme an, du kennst ihn?«
»Dieses Buch enthält den Text über die verschiedenen Arten von unzulässigen Aussagen«, antwortete Fidelma selbstbewusst. » |123| Wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, gibt es neun Hauptgründe und vier Sondergründe für das Ausschließen von Aussagen. Meiner Erinnerung nach kann eine Aussage für unzulässig erklärt werden, wenn sie von jemandem gemacht wurde, der bestochen wurde, der eine Beziehung zu der Person hat, gegen die er ausgesagt hat, und wenn man annehmen kann, dass er die Person hasst …«
Firbis hob die Hand.
»Du lässt uns keinen Zweifel daran, dass du das Gesetz hierzu kennst, Fidelma. Der Brehon hat die Aussage nicht zugelassen, mit der Begründung, dass Sochla Feranaim hasste …«
»Das war eine falsche Entscheidung.«
»Warum?«, erwiderte Firbis.
»Weil diese Begründung auf Sochla als Angeklagte nicht anwendbar ist. Eine Aussage, mit der sie die Anschuldigungen zurückweist, die gegen sie vorgebracht wurden, kann nicht unzulässig sein. Ich glaube, der Brehon hat hier ungerecht gehandelt. Er hätte ihre Aussage gelten lassen müssen.«
Fidelma hatte den Ausdruck
gúach
benutzt, der bedeutet, dass diese Ungerechtigkeit nicht irrtümlich, sondern aufgrund von Vorurteilen geschehen war.
Firbis musterte Fidelma eine Weile.
»Dann bist du also zu dem Schluss gekommen, dass ein falsches Urteil gefällt wurde?«
Fidelma antwortete einen Augenblick lang nicht und
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