Todesfee
auf tönernen Füßen zu stehen. Wer war ihr Liebhaber? Kann der nicht bestätigen, was sie gesagt hat?«
Firbis lächelte mit dünnen Lippen.
»Ich glaube nicht.«
»Warum?«
»Er ist geflohen, nachdem man die junge Frau angeklagt hatte.«
»Geflohen?«
»Er stammte aus Calraige.«
»Aber das ist doch in …«
Firbis unterbrach sie mit einem dünnen Lächeln. »Genau, im Land des Uí Ailello, des Todfeindes der Könige von Tethbae.«
»Willst du damit sagen, dass sie und ihr Liebhaber bei dem Diebstahl unter einer Decke steckten?«, überlegte Fidelma laut. »Wenn ja, dann deutest du damit ein Motiv an, das du mir hättest erklären sollen, als ich vorhin danach gefragt habe«, erwiderte Fidelma verärgert.
|116| Firbis zuckte ein wenig zusammen, als er ihren streitbaren Ton vernahm.
»Darf ich dich daran erinnern, Fidelma, dass du mit einem
druimcli
sprichst?«, sagte Brehon Morann mit eisiger Stimme.
»Und ich möchte dich daran erinnern«, fügte Firbis säuerlich hinzu, »dass es nicht meine Aufgabe ist, dir sämtliche Antworten in diesem Rätsel zur Verfügung zu stellen.«
»Ich wollte nicht respektlos sein«, sagte Fidelma nun zu Brehon Morann, »aber dies ist ein Beispiel für das, was ich meinte, als ich sagte, man könne den Fall nicht allein nach den anfänglich vom
druimcli
zur Verfügung gestellten Vorgaben beurteilen. Dass plötzlich ein namenloser Liebhaber in dieser Geschichte auftaucht, beweist doch …«
»Der Brehon aber war anderer Meinung«, unterbrach sie Firbis. »Er sah dadurch nur die Schuld der jungen Frau bestätigt. Ihm war klar, dass sie bei dem Diebstahl die Komplizin ihres Geliebten war und dass sie beide die Absicht hatten, nach Uí Ailello zu fliehen, wo sie sicher waren und wo der Stammesfürst sie reich belohnen würde, sobald sie ihm den Schädel brachten.«
Fidelma schüttelte den Kopf. »Ich glaube das alles nicht.«
Firbis schaute sie verdutzt an. Brehon Morann setzte sich in seinem Stuhl auf. Er lächelte freundlich.
»Du scheinst die ganze Geschichte anzweifeln zu wollen, Fidelma.«
»Denkt doch nur«, erwiderte Fidelma mit einem Schulterzucken, »eine Magd wird in der Burg des Königs allein zurückgelassen. Sie hat einen Liebhaber, der einem feindlichen Clan angehört, den Todfeinden der Könige von Tethbae und ihrer Leute. Die Magd arbeitet, bis ihr Liebhaber kommt. Sie behaupten, ein Schäferstündchen miteinander verbracht zu haben. Dann nehmen sie den Schädel in seiner Schatulle und |117| verstecken ihn in der Unterkunft des Gesindes unter dem Bett der jungen Frau. Der Liebhaber geht. Dann kehren die Leute des Königs zurück und stellen fest, dass der Schädel und die Schatulle weg sind. Die werden dann unter dem Bett der jungen Frau gefunden. Inzwischen ist der Liebhaber in seine Heimat geflohen.« Sie hielt inne. »Das ist wirklich ziemlich unglaubwürdig. Ich würde es beinahe als Unsinn bezeichnen.«
Druimcli
Firbis presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. »Du willst damit sagen, dass der Brehon in diesem Fall nicht zwischen Tatsachen und Unsinn unterscheiden konnte?«
»Es scheint so«, erwiderte Fidelma ernst.
Jetzt lächelte
druimcli
Firbis sarkastisch. »Also, du kommst zu dem Schluss, dass es sich um ein falsches Urteil handelt?«
»Ja, es war falsch, wenn der Brehon den Fall nur nach den Aussagen allein beurteilt hat, die mir bekannt sind.«
»Nun gut, Fidelma«, sagte Firbis und lehnte sich ein wenig zurück. »Dann machen wir mit den Tatsachen weiter. Der
dálaigh
, der Anwalt des Königs, war der Meinung, dass es die Absicht Sochlas und ihres Liebhabers war, sofort mit der Schatulle zu fliehen. Aber sie vertändelten die Zeit und merkten nicht, wie spät es geworden war. Sie hörten, dass die Leute des Königs zurückkehrten, und konnten die Schatulle gerade noch unter Sochlas Bett verstecken. Der Liebhaber ging fort und wartete in der Nähe, um das Geschehen zu beobachteten. Als er sah, dass man Sochla festgenommen hatte, floh er und ließ sie allein zurück.«
»Und was sagte der
dálaigh
der jungen Frau, ihr Anwalt, dazu?«
»Sie hatte keinen Anwalt.«
»Wer hat sich dann für sie eingesetzt?«
|118| »Der Brehon.«
Fidelma schaute entgeistert in Firbis’ völlig ausdrucksloses Gesicht.
»Ein Brehon muss unparteiisch sein«, sagte sie langsam.
»Genau«, stimmte ihr Firbis zu, »und deswegen darf er in einen Fall eingreifen, um für die Angeklagte …«
»Aber nur, wenn die Angeklagte oder eine Zeugin
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