Todesflirt
schrie ich noch mal. »Ich hab eh schon die Polizei gerufen.« Das war natürlich gelogen, aber vielleicht konnte ich sie ja einschüchtern.
»Und wo hast du dein Handy?«, fragte der mit dem Ghettoblaster hämisch. »Zwischen deinen Brüsten?« Ich schnaubte! Arschlöcher!
Immerhin hatte mein Einschreiten dafür gesorgt, dass die fünf Deutschen kurz von ihren Opfern abgelenkt waren. Mit dem Mut der Verzweiflung stürzten sich die vier auf ihre Angreifer. Einer konnte sich zwischen den Körpern hindurchzwängen, und ohne sich noch einmal umzudrehen, rannte er davon. Die anderen drei riefen Unverständliches und die fünf Angreifer konzentrierten sich wieder auf ihre Beute. Ich sah mich nach David um. Ich hoffte, er hätte inzwischen tatsächlich mit dem Handy in meiner Tasche die Polizei verständigt.
Von David keine Spur. Entsetzt sprang ich zu unserem Handtuch zurück. Nein, im Wasser war er nicht, hinter den Büschen auch nicht. Ich blickte über den See. Und dann sah ich das Limettengrün seines Fahrrads über den Brückensteg hinüberblitzen. Machte der sich aus dem Staub? Fuhr er los, um Hilfe zu holen? Warum hatte er nichts gesagt? Scheiße!
Jetzt drangen wilde Schreie zu mir herüber und es bedurfte nur eines kurzen Blickes, um zu erkennen, dass der Streit eskalierte. Der Tätowierte kniete auf dem im silbernen Trainingsanzug und drosch auf ihn ein. Warum war hier sonst niemand außer mir! Es war nicht einmal sechs Uhr abends! Ich fingerte nach meinem Handy, wählte die 110 und hatte das Gefühl, es dauere Ewigkeiten, bis endlich jemand abnahm. Ich schilderte die Situation und man versprach, schnell eine Streife zu schicken. Währenddessen wurde die Schlägerei immer heftiger. Die fünf Typen schlugen auf die drei Türken ein. Sie stießen den am Boden Liegenden ihre Füße in die Rippen, in den Magen, zwischen die Beine, auf den Rücken. Selbst der Ghettoblaster kam als Schlaggerät zum Einsatz. Ich fühlte mich so hilflos wie noch nie. Warum war ich kein Racheengel à la Uma Thurman in Kill Bill und konnte die Horde mit ein paar Schlägen außer Gefecht setzen? Ich zog, so schnell es ging, meine Klamotten an und bestieg mein Fahrrad. Vielleicht konnte ich auf der anderen Seeseite jemanden finden, der helfen konnte. Da hörte ich aus der Ferne ein Martinshorn, suchte den Horizont ab und entdeckte ein Blaulicht. Ich stieg wieder vom Fahrrad ab. Über den schmalen Feldweg näherte sich das Polizeiauto holpernd und nicht besonders schnell.
Die Schläger schienen auf das Martinshorn genaustens geeicht zu sein. Kaum hörten sie es, ließen sie von ihren Opfern ab und rannten in Richtung östliches Seeufer davon. Die drei Türken blieben stöhnend am Boden liegen. Ich eilte zu ihnen, drückte einem ein Taschentuch auf seine stark blutende Platzwunde an der Stirn. Die zwei anderen konnten sich immerhin selbstständig hinsetzen. Endlich war das Polizeiauto da. Einer der Beamten verständigte über Funk einen Krankenwagen, der andere kam auf uns zu.
»Haben Sie uns angerufen?«, fragte mich der schnauzbärtige Polizist und ich nickte. »Konnten Sie die Angreifer nicht aufhalten?«
Ich sah ihn irritiert an.
»Die waren zu fünft. Sie sind Richtung Ottendichl verschwunden«, erläuterte ich. Der Polizist würdigte die Verletzten kaum eines Blickes.
»Tja«, sagte er. »Bei der Hitze kommt das zur Zeit ständig vor. Da rasten immer mal welche aus.«
Jetzt kam auch der zweite Polizist näher, deutlich älter als sein Kollege. Sein weißes Haar lugte verschwitzt unter der Mütze hervor, die Wangen leuchteten rot, den Hemdkragen hatte er schon weit geöffnet.
»Soll ich Ihnen die Typen beschreiben?«, fragte ich, aber keiner reagierte auf meine Frage.
»Ich hab die genau gesehen«, insistierte ich. »Hallo?«
Die Polizisten sahen gelassen über den See.
»Mei, meinen Sie, bei der Hitze laufen wir denen nach?«, bequemte sich der ältere schließlich zu einer Antwort. »Des war sicher mal wieder so ein Streit unter Burschen. Kommt ständig vor.«
Der auf dem Boden liegende Junge stöhnte. Sein Kumpel hielt ihm die Hand.
»Das war ein rassistischer Übergriff«, sagte ich. »Die haben die Jungs hier als Kanaken beschimpft. Die hatten irgendwelche Kelten-Tatoos, so militärisch kurze Haare und schwarze Tankshirts mit einem Zahnrad und so Runenschrift drauf.«
»Ach bitte, gehen S’«, sagte der Schnauzbart. »Jetzt kommt gleich wieder die Nazi-Kiste. Verschonen Sie uns. In 95 Prozent aller Fälle sind das
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