Todesflirt
sieben Minuten bis nach Feldkirchen. Kaum saßen wir, klingelte wiederum mein Handy. Diesmal mein Vater.
»Tabea«, er schrie selten. »Wo bist du? Deine Schwester ist immer noch nicht da! Wir haben jetzt die Polizei verständigt.«
»Papa«, oh Gott, was sollte ich nur sagen? »Ist Annika bei dir? Gib sie mir, bitte!«
»Wo bist du?«, schrie er wieder.
»Bald daheim«, log ich und meine Hand zitterte so, dass ich fürchtete, das Handy würde mir entgleiten.
»Tabea«, jetzt war Annika am Apparat. »Was ist …?«
»Ruf deine E-Mails ab!«, beschwor ich sie. »Aber kein Wort zu Ma und Papa! Bitte, versprich es! Sonst ist Juli …«
»Was?« Annika schrie hysterisch auf.
»Alles wird gut«, schaffte ich es hervorzuquetschen, dann unterbrach ich die Verbindung. David neben mir hatte sich ganz klein gemacht. Ein Knie angezogen, die Hände und Arme darüber verschränkt, den Kopf niedergesunken.
»David«, sagte ich ausdruckslos. »Sag was. Bitte!«
Sein Körper schwankte leicht von links nach rechts und zurück.
»Es tut mir so leid«, hörte ich ihn flüstern. »So leid …«
13. Kapitel
Kurz vor der Haltestelle Ottendichl piepte mein Handy. Die SMS war kurz: »Aussteigen«, forderte sie uns auf.
»Komm«, sagte ich zu David. Ich wollte ihn nicht mehr berühren.
Hitzeflimmernde Felder voller Maispflanzen lagen gegenüber der Haltestelle, auf unserer Seite versteckten sich weiße Einfamilienhäuser hinter undurchdringlichen Hecken. Aus einem Feldweg, keine 20 Meter von der Haltestelle entfernt, ragte die dunkelblaue Schnauze seines Golfs. Wir gingen langsam darauf zu. Ich versuchte, so tief wie möglich einzuatmen, langsam wieder auszuatmen. Die Sonne stach mir auf die linke Schulter, ich kratzte mich unter dem Sonnentopträger. David besah den Weg, die Hände tief in der Hosentasche, die rechte umkrallte das Handy darin.
Er lehnte lässig am Cabrio. Eine dunkelblaue Schirmmütze in den Nacken geschoben, eine riesige Sonnenbrille auf der Nase. Weißes Trachtenhemd, eine olivgrüne Lederweste darüber, beige Chinos. Als hätte es längst keine 28 oder 30 Grad. Er grinste sogar. Mit einer angedeuteten Verbeugung öffnete er die Beifahrertür und wies mich an, mich dorthin zu setzen. David kletterte auf den Rücksitz. Als wir uns angeschnallt hatten, zerrte er erst Davids, dann meine Hände zu sich und umschlang sie mit Kabelbindern. Er zog so fest zu, dass mir ein Quietschen entfuhr. Er grinste breit.
»Entschuldigung, Prinzessin«, lachte er.
»Aufsetzen«, befahl er dann und seine Stimme klang so freundlich, als fragte er uns, welche Sorte Tee wir gerne zu unseren Keksen hätten. Die Sonnenbrillen, die er uns in die Finger drückte, waren von innen abgeklebt, sodass wir nicht hindurchsehen konnten.
»Nicht spickeln«, sagte er in neckendem Ton. Er wirkte, als freue er sich, als genieße er es. Als hätte er eine tolle Überraschung für uns inszeniert. Wie beim Kindergeburtstag. Eine lustige Schnitzeljagd. Mit Juli als Hauptpreis.
Ich hörte, wie er den Wagen startete und nach rechts abbog, zurück Richtung Feldkirchen. Gleich darauf ging es wieder nach rechts und schon jetzt hatte ich die Orientierung verloren.
»Nervös?«, plapperte er munter drauflos. »Müsst ihr nicht sein. Ihr gebt mir das Handy, ihr bekommt deine schwachsinnige Schwester wieder und dann sind wir getrennte Leute. Ich werde euch nie wieder behelligen. Zumindest solange keine Kopie des Films irgendwo auftaucht.«
Niemand von uns reagierte. Ich hätte ihm am liebsten ins Steuer gegriffen, den Wagen gegen einen Baum gelenkt, aber das war viel zu gefährlich. Ich spürte plötzlich seine Hand auf meinem Knie und erstarrte.
»Keine Angst«, seine Stimme kroch aalig glitschig in mein Ohr. »Ich wollte nur dein Handy aus der Tasche holen. Jetzt brauchst du es doch nicht mehr.« Ich hörte den Abmeldeton, als er es ausschaltete.
»So, fort damit«, rief er fröhlich und ich konnte am unteren Rand der Sonnenbrille seine Armbewegung wahrnehmen, als er das Handy weit fortwarf.
»Hey«, schrie ich, aber er klatschte mir mit dem Handrücken ins Gesicht.
»Nicht schauen, hab ich gesagt«, brüllte er mich an.
Ich presste die Hand auf meine brennende Wange und versuchte, die Tränen zu schlucken. Vor ihm wollte ich nicht weinen. Ich kauerte mich zusammen und konzentrierte mich, so gut es ging, auf den kühlenden Fahrtwind.
»Lass sie in Ruhe, sie hat doch gar nichts damit zu tun«, vernahm ich nun von hinten Davids Stimme. Er hatte
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