Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)
mir vorstellen, dass Wellenstein sich nicht vom Tod seiner Mutter abhalten lässt; er ist Profi und kein Hobbymusiker. Außerdem wird das Konzert ja auch im Rundfunk und Fernsehen übertragen.“
Etwas kritischer sah Gerlinde Haller den Maestro allerdings schon. „Stimmt, diesen großen Bahnhof lässt sich Wellenstein garantiert nicht entgehen. Schon früher hat er die Kantorei für seine Zwecke benutzt und dann einfach fallen lassen, als er ein besseres Angebot hatte.“ Und etwas leiser fügte sie hinzu: „Und der Chor hat ihm auch als Jagdrevier gedient. Er war doch ein alter Schürzenjäger, unser Hans-Peter. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als wir damals in den 70ern den Chor aus Meißen zu Gast hatten. Da war der Maestro recht freigiebig mit seiner Aufmerksamkeit, was dazu führte, dass es keine Einladung zu einem Gegenbesuch gab. Schade, ich wäre damals gern mitgefahren, allein wäre ich doch niemals in die DDR gereist.“
Gerda hatte zwar auch schon das eine oder andere Gerücht über Wellensteins amouröse Aktivitäten zugetragen bekommen, aber sie hatte diese Geschichten immer für üble Nachrede gehalten. Dass die Mutter des Hauptkommissars jetzt auch mit diesem Thema anfing, gefiel ihr gar nicht. Über solche Dinge wollte Gerda König nicht sprechen und sie sich am liebsten erst gar nicht anhören. Sie versuchte, das Thema zu wechseln. „Man erzählt sich, dass der Tod von Wellensteins Mutter kein natürlicher war. Was sagt denn Schorsch dazu?“
„Mit mir bespricht er solche Sachen grundsätzlich nicht. Dienstgeheimnis und so.“
In diesem Moment ertönte aus der Handtasche der alten Dame die Filmmusik der Agatha-Christie-Krimis. „Entschuldigen Sie, mein Handy klingelt.“
Gerda unterbrach ihre Arbeit und ließ Gerlinde Haller ans Tel efon gehen. „Hallo? Ach du bist es, Schorsch. Woher weißt du denn, dass ich im Salon König bin? - Stimmt. - Ja, das kann ich machen. Ich brauche noch ungefähr eine halbe Stunde, dann komme ich rüber zu dir.“ Gerlinde legte auf. „Das war doch tatsächlich mein Sohn und er möchte, dass ich nachher noch schnell zu ihm in die Dienststelle komme. Es geht wohl um den Bericht aus der Pathologie. Mehr hat er nicht verraten. Jetzt bin ich aber sehr gespannt.“
„Hoffentlich stellt sich alles als harmlos heraus. Es ist schon schlimm genug, wie Wellenstein plötzlich von der ganzen Stadt unter Generalverdacht gestellt wird. Die Schmiererei an der Musikschule ist auch nicht zufällig gerade dann aufgetaucht, als Wellenstein dort geehrt werden sollte und jetzt noch die zerstörten Plakate in der ganzen Stadt. Das ist doch Rufmord. Schrecklich!“
„Da haben Sie Recht, Frau König. Hier scheint tatsächlich jemand mit dem Maestro abrechnen zu wollen. Aber wer weiß, was wirklich dahinter steckt. Die Welt besteht aus lauter Abgründen, das dürfen Sie mir glauben. Was die Krimi-Autoren schreiben, ist nicht alles frei erfunden, ein Körnchen Wahrheit steckt immer dahinter. Und falls Wellenstein doch etwas mit dem Tod seiner Mutter zu tun haben sollte - was ich wirklich nicht hoffe - und deshalb nicht dirigieren kann, gibt es wenigstens einen Ersatz. Wenn Sie mich fragen, hätte Hensler sein Pult nicht für Wellenstein räumen sollen. Willi ist einfach der bessere Dirigent. Schließlich hat erst er die Kantorei zu dem gemacht, was sie jetzt ist.“
Gerda hatte sich schon so auf das Chorwochenende und auf das Konzert in der kommenden Woche gefreut und fürchtete jetzt, dass es kein ungetrübter Genuss sein würde. Sie wurde von ihrer Kundin aus ihren Gedanken gerissen.
„Fällt es Hensler nicht schwer, jetzt, so kurz vor dem Konzert, seinen Platz für Wellenstein freizumachen? Schließlich ist die Bärlinger Kantorei ja sein Chor und er hat sicher - wie immer - viel Herzblut in die Proben gesteckt. Ich finde es einfach nicht richtig, dass die Lorbeeren jetzt ein anderer einheimsen soll.“
Darüber hatte sich Gerda noch gar keine Gedanken gemacht, sie zuckte mit den Schultern. „Ich glaube nicht, schließlich hat Wellenstein Hensler seinerzeit ja als Nachfolger ausgewählt. Sie sind doch alte Freunde soviel ich weiß.“
Gerlinde Haller schüttelte den Kopf. „Es stimmt zwar, dass die zwei sich schon seit ihrer gemeinsamen Schulzeit kennen, aber sie sind so verschieden, dass ich mir schlecht vorstellen kann, dass sie wirklich befreundet sind.“
„Ach, das wundert mich jetzt aber. Wem, wenn nicht einem echten Freund ,
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