Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)
gesagt, dass er von Zeugen gesehen worden sei, als er am Freita gabend mit einem Blumenstrauß das Zimmer seiner Mutter betreten hatte. Nicht ahnend, welche Konsequenzen dieser Besuch hatte, wollte er von dem Kommissar wissen, ob es vielleicht verboten sei, der eigenen Mutter an ihrem Hochzeitstag mit Blumen zu gratulieren. Bestimmt hatte dieser Polizist seiner Mutter noch nie Blumen ins Heim gebracht.
Wellenstei n brauchte nicht lang, um seine Mitmenschen zu taxieren und in Schubladen zu stecken. Seine Menschenkenntnis war dabei rein praktischer Natur. Für ihn gab es Bekanntschaften, die ihm unmittelbar nützten, solche, die ausbaufähig waren und solche, die er als reine Zeitverschwendung betrachtete. Georg Haller hätte er sofort der letzten Kategorie zugeordnet, wenn er ihm unter anderen Umständen begegnet wäre.
Der Hauptkommissar hatte ihm gesagt, e r könne im Augenblick nicht mehr tun, als ihn über die Todesumstände seiner Mutter zu informieren. Schließlich sei er im Augenblick der einzige Angehörige, den er telefonisch erreicht habe. Und dann berichtete Georg Haller dem Dirigenten in knappen sachlichen Worten, dass man bei der gerichtsmedizinischen Untersuchung festgestellt habe, dass die alte Dame an den Folgen einer Vergiftung gestorben sei. Wellenstein hörte den Hauptkommissar aussprechen, was er am liebsten verdrängt hätte. Seine Mutter war Opfer eines Giftanschlags geworden. Die Mordwaffe war ein mit Eisenhut-Extrakt versetzter Kräuterlikör gewesen.
Wellenstein öffnete die Augen und goss sich ein weiteres Glas Wein ein. Wer hatte das getan? Und noch viel wichtiger erschien ihm die Frage, warum jemand eine alte Frau wie seine Mutter umgebracht hatte. Raub als Motiv hielt auch der Hauptkommissar für ausgeschlossen. Wenigstens in dieser Hinsicht waren sie einer Meinung. Das änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass Wellenstein sich den Verdächtigungen des Kommissars - ausgesprochen oder nicht - ausgesetzt fühlte. Seine Aussage hatte Georg Haller zu Protokoll genommen und ihn dann verabschiedet. Dass er nur einen Rosenstrauß mitgebracht habe und nicht einmal wisse, wie Eisenhut-Blumen überhaupt aussähen, hatte der Polizist kommentarlos zur Kenntnis genommen. In seinen Augen war er wahrscheinlich so gut wie überführt und es passte in sein Bild, dass er vehement seine Unschuld beteuerte. Wellenstein stützte die Ellenbogen auf die Schreibtischplatte und ließ seinen Kopf in die Hände sinken. Was war hier los? Wer wollte ihm hier einen Mord anhängen? War er das Opfer eines perfiden Komplotts?
Wellenstein griff zum Hörer und rief die Nummer seines Bruders an. Um sich vor Kundenanrufen am Feierabend zu schützen, hatte Ansgar schon vor vielen Jahren eine Geheimnummer beantragt. Es reichte ihm, wenn er in der Apotheke permanent erreichbar war, zu Hause wollte er seine Ruhe. Am anderen Ende meldete sich Wellensteins Schwägerin. „Grüß dich Marga, hier ist Ha-Pe. Ist mein Bruderherz zu sprechen?“
„Leider nein, er hat heute Nachtdienst und ist schon in der Apotheke. Soll ich ihm was ausrichten?“
„Das ist lieb von dir, aber ich muss ihn selbst sprechen. Sonst alles in Ordnung bei dir? Machst du dir heute einen schönen Mädels-Abend?“
Wellensteins Schwägerin lachte. „Genau. Du hast mich durchschaut. Es gibt Prosecco, Besuch von den Freundinnen und eine große Romantikfilm-Nacht. Kennst mich doch.“
Wellenstein lachte auch. „Na dann will ich nicht stören oder darf ich noch rüberkommen als special guest ?“
„Untersteh dich, Männer sind hier streng verboten. Selbst so charmante wie du.“
„ Habe verstanden. Aber spätestens beim Konzert sehen wir uns doch? Soll ich dir Plätze reservieren lassen?“
„ Ha-Pe, bist du dir denn sicher, dass du das Konzert überhaupt geben willst? Es würde dir keiner übelnehmen, wenn du es absagen würdest. Das könnte jeder verstehen.“
„Das Konzert finde t statt, Marga. Die Musik heilt alle Wunden, das weißt du doch.“
„Ansgar freut sich jedenfalls schon sehr. Danke nochmal, dass du ihn mitsingen lässt. Das bedeutet ihm wirklich viel. Der Chor hat ihm schon sehr gefehlt, seit er vor drei Jahren ausscheiden musste.“
„Da gelten eben für alle Sänger die gleichen Regeln. Wer das magische Alter erreicht, der muss gehen. Da gibt es leider auch keinen Wellenstein-Bonus.“
„Ja leider. Ich habe jetzt schon Angst, dass Ansgar nach dem Konzert wieder in so ein tiefes Loch fällt wie damals vor drei Jahren, als
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