Todesgott
erdulden«, sagt sie, wobei sie mir immer noch den Rücken zudreht. Sie legt die Teebeutel in die Tassen und umfasst den Griff des Kessels, so als würde das Wasser dann schneller zum Kochen kommen.
»Soweit ich von seinen Bekannten gehört habe, muss Skarphéðinn ein sehr selbständiger junger Mann gewesen sein.«
»Ja, er hat sich als Jugendlicher sehr verändert.«
»War das, als er nach Reykjavík ging, um in diesem Film mitzuspielen?«
»Es war zu der Zeit, ja«, antwortet sie langsam.
Ich sage nichts.
»Aber«, fügt sie hinzu, dreht sich zu mir und lehnt sich an den Tisch, »um ihn mache ich mir jetzt keine Sorgen mehr, sondern um Rúnar.«
»Natürlich«, murmele ich. Ihre Ausdrucksweise erscheint mir sonderbar.
Ihr Gesicht ist verbissen, nahezu streng, wie sie dort mit verschränkten Armen vor mir steht und mich scharf ansieht.
»Warum bist du hier?«, fragt sie dann.
»Weil ich glaube, dass in der Stadt Leute unterwegs sind, die es auf Rúnar abgesehen haben.«
»Warum tust du so, als würde dich das was angehen?«
Die Frage überrumpelt mich. »Tja, zum Beispiel, weil sie gestern Nacht zu mir nach Hause gekommen sind und mir übel mitgespielt haben. Und zwar, weil sie – nach eigener Aussage – Rúnar nicht gefunden haben.«
Das Wasser im Kessel hat angefangen zu kochen. Sie wendet sich von mir ab und gießt Wasser in die Tassen.
»Nimmst du Milch oder Zucker?«
»Nur Zucker, danke. Falls du welchen hast.«
Jóna schiebt mir eine Zuckerdose und einen Löffel zu und stellt die Tassen auf den Tisch. Ich sehe, dass ihre Fingernägel angeknabbert sind. Sie drückt lange, lange ihren Löffel auf den Teebeutel in ihrer Tasse.
»Warum waren sie hinter dir her?«
»Tja, das weiß ich eigentlich nicht«, sage ich und rühre in meinem Tee herum. »Diese Typen sind völlig durchgeknallt. Stehen fast immer unter Drogen. Und können gefährlich werden.«
»Sie sind gestern Nacht hergekommen und haben Rúnar gesucht. Warum sind sie hinter ihm her?«
»Das kann ich nicht sagen. Da musst du ihn selbst fragen. Oder diese Typen.«
»Hat es was mit seinem Bruder zu tun?«
»Ich bin mir nicht sicher. Könnte sein.«
Sie starrt vor sich hin.
»Waren sie heute Nacht auch hier?«
»Ich bin gerade erst nach Hause gekommen. Mein Mann macht die Tür nicht auf.«
Eine Weile ist der Küchentisch in Schweigen gehüllt. Wir nippen an unserem Tee, der erfrischend nach Zitrone schmeckt.
Ich unterbreche die Stille. »Was macht dein Mann?«
Sie schaut von ihrer Tasse auf. »Er ist erwerbsunfähig. Krank.«
»Du gehst also zur Arbeit und kümmerst dich um Kranke, und wenn du von der Arbeit nach Hause kommst, tust du wieder dasselbe?«
Jóna sagt nichts.
»Wo hat er gearbeitet, bevor er krank wurde?«
»Er war Pharmazeut.«
»Und du bist Krankenschwester. Habt ihr euch bei der Ausbildung kennengelernt?«
Sie hebt zustimmend ihre Tasse und nimmt einen Schluck. Das schleppende Gespräch geht mir auf die Nerven. »Was glaubst du, wo Rúnar stecken könnte?«
»Vielleicht in seiner Wohnung in der Hólabraut?«
»Schon möglich. Aber er macht die Tür nicht auf und geht nicht ans Telefon.«
»Vielleicht schläft er.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen. Als ich vor einer guten halben Stunde mit ihm gesprochen habe, war er in heller Aufregung.«
»Mein Gefühl sagt mir«, äußert sie nach kurzer Bedenkzeit und schaut mir in die Augen, »dass mit Rúnar alles in Ordnung ist.« Dann fügt sie hinzu: »Man erntet, was man sät.«
»Bezieht sich das auf seinen Bruder?«
Sie antwortet nicht, aber ihr strenges Gesicht wirkt nun seltsam angespannt.
»Sollten wir nicht vielleicht die Polizei informieren?«, frage ich und höre, wie sich im Flur eine Tür öffnet.
»Das ist nicht deine Sache. Du solltest nach Hause fahren und dich hinlegen. Das werde ich jetzt auch tun. Meine Tage sind lang und meine Nächte kurz.«
Sie erhebt sich vom Tisch.
Ich tue dasselbe.
»Danke, dass du dir Gedanken über den Jungen machst«, sagt sie hastig und bringt mich zur Tür.
Auf dem Weg dorthin kommt uns Valgarður Skarphéðinsson entgegen. Er trägt einen blaugestreiften Schlafanzug, der an ihm hängt wie Wäsche auf der Leine. Sein dichtes Haar steht in alle Richtungen ab, und seine dunklen Bartstoppeln könnten eine Rasur vertragen. Er schleppt sich vorwärts, die feinen Gesichtszüge schlaff und leblos. Seine Augen, die bei der Beerdigung von einer schwarzen Sonnenbrille verdeckt waren, sind blau und matt. Er
Weitere Kostenlose Bücher