Todesgott
Adressbuch. Leer. Galerie. Was zum Teufel soll das sein? Ich taste mich weiter vor. In diesem Menü gibt es Unterpunkte für Konferenzschaltung, etwas, das sich »Anklopfen« nennt, und Punkte, die sich »Allgemein« und »Stummschaltung« nennen. Nichts zu finden. Als Nächstes kommt: Einstellungen. Dort gibt es unterem anderen die Wahlmöglichkeiten Wecker, Zeiteinstellungen, Telefoneinstellungen, Vibrationsalarm, Ruftoneinstellungen und Sicherheitseinstellungen. Ich teste alle. Nichts. Dann kommen Spiele. Ich kann Spiele, Spielanleitungen und Einstellungen wählen. Immer diese verdammten Einstellungen. Aber es sind nicht die richtigen Einstellungen. Es sind verfluchte Falscheinstellungen.
Als Nächstes kommt ein Rechner. Ich kann addieren, subtrahieren, multiplizieren, dividieren, verschiedene Währungen umrechnen und Gott weiß was. Vielen Dank. Und dann kommt die Glücksfee:
Ein Kalender.
Oder ist die Glücksfee an mir vorbeigezogen?
In diesem Bereich des Handys befinden sich weit zurückreichende Einträge für jeden Tag. Der jüngste Eintrag wurde an Skarphéðinns Todestag vorgenommen. Aber es handelt sich um unverständliche Buchstaben- und Zahlenreihen.
Ich gebe auf. Ich habe keinen Funken Energie mehr. Muss schlafen. Die Batterie aufladen.
Bevor ich mich hinlege, rufe ich bei Ásbjörn im Büro an und melde mich krank. Dann schleiche ich mich wieder zu Rúnar ins Zimmer und stecke die Handys in die Taschen seiner Lederjacke. Zuvor habe ich die SIM -Karte aus Skarphéðinns Handy entfernt.
Ich lege die Karte unter mein Kopfkissen. Und schlafe sofort ein.
Ich schrecke vom wütenden Kreischen meiner Frau hoch, die seit Stunden nicht ihren üblichen, täglichen Morgenservice erhalten hat. Es ist etwa vier Uhr nachmittags. Ich springe auf die Füße und kümmere mich um Snældas Bedürfnisse. In diesem Haus ist die Gleichberechtigung nur bis zu der Devise »Ladys first« vorgedrungen. Obwohl ich nur sechs Stunden geschlafen habe, fühle ich mich ausgeruht.
Rúnar Valgarðsson ist auf und davon. Auf dem Wohnzimmertisch liegt ein Zettel mit der Notiz: »Danke für die Hilfe.«
Nachdem ich einen Kaffee und ein altes Hefeteilchen mit eingetrockneter Glasur zu mir genommen habe, bin ich zu allem bereit. Glaube ich zumindest.
Ich nehme mein Handy, hole die SIM -Karte heraus und setze stattdessen Skarphéðinns Karte ein.
Die Zahlen- und Buchstabenreihen im Kalender sind mir immer noch ein Rätsel. Ich komme weder vor noch zurück.
Genervt schmeiße ich das Handy auf den Wohnzimmertisch und stehe auf. Öffne die Terrassentür und zünde mir eine Zigarette an. Schließe die Tür wieder, gehe ins Schlafzimmer und öffne Snældas Käfig. Sie ist froh, frei zu sein, und fliegt ins Wohnzimmer und auf die Gardinenstange.
Ich stehe mitten im Zimmer und lasse meinen Blick über das Bücherregal, die CD -Regale und den Fernseher schweifen. Bin aber so zerstreut, dass nichts durch meine Netzhaut dringt. Das Kurzzeitgedächtnis kämpft mit dem Langzeitgedächtnis. Irgendwo dazwischen taucht ein undeutliches Bild auf.
Ich lasse mich aufs Sofa fallen und zünde mir noch eine Zigarette an. Nehme die Fernbedienung und checke, was im Fernsehen läuft. Nichts.
Und dann springt mir die Antwort förmlich ins Auge. Die Hülle von
Ritter der Straße
steht, mit dem Cover nach vorn, auf dem Fernseher.
Ich drücke hastig auf die Play-Taste des Videogeräts und spule vor bis an die Stelle, wo die Jugendgang, unter Führung des Helden auf dem Feuerstuhl, gespielt von Skarphéðinn Valgarðsson, ihren verschlüsselten Geheimcode anwendet. Als der Film gedreht wurde, existierten noch keine Handys. Damals verschickten die Leute geheime Botschaften auf handgeschriebenen Zetteln. So war es auch in den Jugendbüchern, die ich früher gelesen habe. In dem Film verschlüsselt die Gang ihre Botschaften so, dass anstelle von Buchstaben Zahlen verwendet werden und umgekehrt, alphabetisch und numerisch. Für den Buchstaben A steht die Zahl 1, für B die 2, für C die 3, für D die 4 und so weiter, Buchstabe für Buchstabe. Analog stehen für Nummern und Beträge Buchstaben.
Wie simpel, denke ich und ärgere mich über mich selbst, denn eine Geheimsprache kann kaum einfacher sein.
Ich nehme das Handy, Zettel und Stift und arbeite mich von Tag zu Tag, von Buchstabe zu Buchstabe, von Zahl zu Zahl, Wochen und Monate zurück im handydokumentierten Leben Skarphéðinn Valgarðssons.
Kurz vor Mitternacht habe ich genug.
Ich mache eine
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