Todesgott
scheint uns nicht zu sehen.
Als seine Frau mich durch die Tür geschoben hat, sagt sie: »Valli. Du sollst doch im Bett bleiben.«
Nach meinem merkwürdigen Besuch bei Skarphéðinns und Rúnars Eltern kann ich besser verstehen, warum die beiden jungen Männer bei der erstbesten Gelegenheit zu Hause ausziehen wollten. Dies ist kein Ort der Fröhlichkeit.
Gegen halb vier bin ich fast durch die ganze Stadt gefahren und habe in fünfzehnminütigen Abständen beide Handynummern angerufen. Schließlich stelle ich fest, dass ich nicht mehr tun kann, und mache mich auf den Nachhauseweg. Als ich dort ankomme, ist alles ruhig. Bevor ich ins Haus gehe, starte ich noch einen letzten Versuch.
Diesmal wird Skarphéðinns Telefon abgenommen.
»Einar?«, fragt Rúnars gepresste Stimme.
»Wo bist du?«
Er antwortet nicht sofort. »Auf dem Schrottplatz«, sagt er dann leise.
»Meinst du die Müllentsorgung?«
Er schweigt.
»Warum bist du dort?«
»Ich wusste, dass sie mich hier nie finden würden.«
»Bleib da. Rühr dich nicht von der Stelle. Ich komme.«
Mit diesen Worten schalte ich mein Handy aus und bin nicht mehr erreichbar.
Die Nacht ist kalt und ungemütlich, als ich vor dem verschlossenen und verriegelten Tor zur Alteisenannahme in Krossanes aus dem Auto steige. Ich lasse den Motor weiterlaufen, blinke dreimal und gehe zum Tor.
Nach einem kurzen Augenblick tritt ein gebeugter junger Mann aus der Dunkelheit. Er trägt Bluejeans und eine kurze, schwarze Lederjacke.
Ein paar Sekunden lang steht Rúnar schweigend und reglos hinter dem Tor. Dann schwingt er sich auf eine Zaunlatte und klettert geschickt herüber. Er zittert am ganzen Körper, entweder vor Kälte oder vor Angst.
»Du hättest dir ja wirklich ein ansprechenderes Versteck aussuchen können«, sage ich, lege ihm meinen Arm um die Schulter und führe ihn zum Wagen.
Er fügt sich wie ein gehorsamer kleiner Junge.
Als wir im Auto sitzen, zünde ich mir eine Zigarette an.
»Ich wollte auch …«, setzt Rúnar an.
»Was?«, sage ich, kurbele die Fensterscheibe herunter und blase den Rauch hinaus.
»Wenn sie … Wenn sie mich gefunden und umgebracht hätten …«
Er verstummt.
»Willst du mir damit sagen, dass du dann am selben Ort sterben wolltest wie dein Bruder?«
Rúnar nickt und starrt auf die riesigen Berge mit rostigen Stahlteilen, Schrott und Autoreifen.
Ich fahre los. »Was ist passiert, als wir zum ersten Mal miteinander telefoniert haben?«
»Sie waren den ganzen Abend hinter mir her, haben angerufen und Sturm geklingelt …«
»Meinst du Aggi und seine Kumpane aus Reyðargerði?«
»Ja. Ich hab sie nicht reingelassen und gedroht, die Polizei zu rufen …«
»Und?«
»Sie haben gesagt, wenn ich mich trauen würde, sollte ich es doch einfach tun.«
»Warum hast du’s nicht gemacht?«
Er zögert. »Ich habe meine Gründe.«
»Die du mir nicht sagen willst?«
Er schweigt.
»Okay. Und dann?«
»Ich wusste, dass sie einfach warten würden, bis ich rauskäme. Irgendwann musste ich ja mal das Haus verlassen … Ich habe Ösp, das Mädchen von unten, angerufen und sie geweckt. Sie hat mich reingelassen, und dann bin ich aus ihrem Fenster runter in den Hinterhof geklettert.«
»Als ich gegen eins vor dem Haus war, war aber niemand zu sehen«, sage ich.
»Ich hab Ösp gebeten, eine Viertelstunde zu warten und dann ihren Vater zu informieren, dass irgendwelche Perversen vor dem Haus randalieren würden.«
Auf seinem hübschen Gesicht erscheint ein entrücktes Lächeln. »Ich hab Ösp später angerufen, und sie hat erzählt, ihr Vater sei hochgeschreckt und stinksauer geworden. Er ist runtergerannt und hat sich auf diese Typen gestürzt. Ösp meinte, sie hätten sich dann sofort aus dem Staub gemacht.«
»Und du bist den ganzen Weg bis hierher zum Schrottplatz zu Fuß gegangen?«
»Ich hab ein Taxi angehalten und bin damit bis zur Glerárbrücke gefahren. Von da aus bin ich gelaufen.«
»Warum bist du nicht zu deinen Eltern gegangen?«
Rúnar blickt mich ernst an. »Das könnte ich nicht.«
»Du meinst, du willst sie nicht noch mehr belasten?«
Er schaut weg.
»Rúnar, was wollten sie von dir?«
Er schweigt.
»Warum sind sie hinter dir her?«
Er schweigt weiter.
»Sie haben mir gesagt, sie wollten sich an dir rächen, weil du die Polizei auf sie angesetzt hättest.«
Rúnar zuckt mit den Schultern.
»Aber das ist es nicht, oder?«, frage ich weiter.
Keine Reaktion.
»Du hast der Polizei nichts über sie
Weitere Kostenlose Bücher