Todesgott
Stichprobe. Mit meinem Festnetztelefon wähle ich eine Nummer aus einer Kalendernotiz, bei der es sich um die Handynummer der Person zu handeln scheint, auf die sich die Notiz bezieht.
»Hallo«, antwortet die unwirsche, schlaftrunkene Stimme von Ásgeir Eyvindarson.
Ich lege auf.
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26
Mittwoch
GAB DEN EIGENEN MORD BEKANNT
Eine SMS -Nachricht, die eine achtzehnjährige Belgierin ihrem Vater kurz vor ihrem Tod schickte, trug zur Identifikation ihres Mörders bei. Der Vater des Mädchens war auf Reisen, als seine Tochter ermordet wurde, und sah die Nachricht erst einen Tag später. Darin teilte ihm das Mädchen mit, die Geliebte des Vaters wolle sie umbringen. Der Vater kontaktierte umgehend die Polizei, welche die Frau festnahm …
Welch ein leicht zu entschlüsselndes Verbrechen, denke ich, als ich die Meldung in einer Tageszeitung lese. Immer diese Handys. Mein Problem lässt sich jedoch nicht so schnell und leicht lösen.
Es gibt zu viele Möglichkeiten. Vor allem, wenn man bedenkt, wie beliebt und allseits geschätzt der Verstorbene war. Der eifersüchtige Ehemann aus der Nachbarwohnung? Eine junge, verliebte Schülerin, die zurückgewiesen wurde? Ein angesehener Geschäftsmann, der sich seiner privaten und finanziellen Probleme entledigen und die Spuren verwischen wollte? Ungeschickte Geldeintreiber? Frustrierte Junkies?
Das ist wahrlich eine große Auswahl.
Um den Kreis ein wenig einzugrenzen, rufe ich einen Radiosprecher in Akureyri an. Sage ihm, ich hätte seine Sendung am Samstag vor Palmsonntag gehört, in der er den Wunschsong
Season of the Witch
für Skarphéðinn und die Kids vom Schultheaterverein gespielt hätte.
»Na und?«, fragt er.
»Ich dachte, du könntest mir vielleicht sagen, wer da gegrüßt und sich das Lied gewünscht hat? Ist das vielleicht im Computer registriert oder so?«
»Dafür brauche ich keinen Computer«, entgegnet er. »Wenn der Junge nicht ein paar Tage später verschwunden und dann tot aufgefunden worden wäre, hätte ich es natürlich vergessen. Aber ich kann mich noch dran erinnern.«
»Und?«, frage ich.
»Da hat so ein Typ angerufen. Der hieß Gunnar.«
Am Anfang war der Wunschsong.
Als Ásbjörn in den Schrank gestiefelt kommt, werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Er war in den letzten Tagen bester Laune, was sich größtenteils durch haarsträubende Anekdoten und schlechte Witze äußerte. Da bleibt einem nichts anderes übrig, als ein müdes Lächeln aufzusetzen, die Mundwinkel mit aller Kraft nach oben zu drücken und sich mit ihm zu freuen.
»Na, Einar«, sagt er. »Hast du schon den von dem Priester und dem Taufkind gehört?«
Oh nein, denke ich. Oh nein, oh nein, oh nein. »Nein, Ásbjörn. Den habe ich ganz bestimmt noch nicht gehört. Warum fragst du?«
»Na, weil ich ihn dir noch nicht erzählt hab natürlich.«
»Was du genau jetzt tun wirst?«
»Genau jetzt, ja«, sagt er freudestrahlend. »Da war ein Priester, der musste einen Jungen taufen, der schon drei Jahre alt war. Der Junge verhielt sich ganz ruhig und weinte und schrie nicht, wie Säuglinge es normalerweise tun. Das fand der Priester sehr angenehm, und er sagte, es sei vielleicht richtig, Kinder erst dann zu taufen, wenn sie den Sinn der Zeremonie auch verstünden. Als der Priester den Jungen dann mit Wasser übergoß, schaute dieser ihn wütend an und sagte: ›Warum bespritzt du mich denn mit Wasser, du Blödmann?‹ Hehehehehe.«
Ásbjörn schaut mich erwartungsvoll an.
»Haha«, zwinge ich mir heraus. »Komisch, dass ich den noch nicht gehört hab, so witzig, wie der ist.«
»Den hab ich von Óligísli. Der sprudelt nur so vor herrlichen Geschichten.«
»Wirklich herrlich«, sage ich todernst. »Einmalig, dass ihr eure alte komödiantische Tradition wiederaufleben lasst.«
In diesem Moment verschwindet die Fröhlichkeit aus Ásbjörns Gesicht, und seine Augen nehmen einen sorgenvollen Ausdruck an. »Aber eine Sache müssen wir angehen, Einar.«
»Nur eine?«
»Und zwar, dass wir in der letzten Zeit so wenig Meldungen, Artikel und Interviews aus Akureyri im Blatt hatten.«
»Die Frage des Tages kommt aber regelmäßig einmal in der Woche«, murmele ich.
Er lässt sich dadurch nicht vom Thema abbringen. »Es ist natürlich im Grunde nicht meine Sache, aber so langsam schlägt es sich auf die Verkaufszahlen nieder. Ich merke es schon bei den Kiosken.«
»Du weißt doch, dass ich mich mit einer wichtigen Geschichte beschäftige, letztendlich auch einer guten
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