Todesgott
bis über beide Ohren, was so ungewohnt aussieht, dass es mir fast peinlich ist. »Brillant! Fucking brillant!«
Noch nie habe ich diesen biederen, ehemaligen Jugendgruppenleiter so reden hören. Offenbar verliert er gerade die letzten Hemmungen.
»Einar«, sagt er, »das ist wirklich genial! Vielen Dank!«
Wenn mich nicht alles täuscht, werden seine Augen feucht.
Nachdem ich ein kleines Hundedrama inklusive Interview mit einer Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs zusammengebastelt und es mitsamt einem Foto des verlorenen Sohnes in die Hauptstadt geschickt habe, bin ich erschüttert. Was tue ich hier eigentlich? Wo bin ich nur gelandet? Ist die Welt ein einziges Irrenhaus geworden? Und ich der Oberirre auf der geschlossenen Station?
Trausti Löve würde diese Frage mit Sicherheit bejahen. »Haben wir etwa diese unverschämt teure Niederlassung in Akureyri gegründet, um entlaufene Hunde zu inserieren?«, wetterte er.
Ich hatte mir allerdings vorher Rückendeckung geben lassen. Hatte Hannes angerufen und ihn über die Sache in Kenntnis gesetzt.
»Wir tun es Ásbjörn zuliebe, mein Bester«, sagte er, »aber es ist deine Aufgabe, weitere Meldungen über entlaufene Hunde oder Katzen in Akureyri abzublocken. Das darf kein Präzedenzfall werden. Wir brauchen den Platz für wichtigere Dinge. Wie zum Beispiel die Geschichte aus Reyðargerði von Jóa und dir in der heutigen Ausgabe. Gute Arbeit.«
Ich dankte ihm für beides und sagte dann: »Hannes, ich habe echt meine Zweifel, ob diese Sache mit Akureyri sich lohnt. Mir gefällt das nicht …«
»Vollkommen falsch«, entgegnete Hannes. »Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir haben jetzt schon eine Verkaufssteigerung im Nord- und Ostland festgestellt, sowohl bei den Abos als auch beim Hand- und Anzeigenverkauf. Es läuft alles genau richtig. Nur Geduld, mein Bester, Geduld.«
Meine Geduld erschöpft sich darin, bis zu Gunnsas Besuch durchzuhalten.
Was machen diese Nackedeis da bloß?
Ich starre auf das Gemälde an der Decke des weißgestrichenen Cafés am Rathausplatz, bekomme einen steifen Hals und schaue stattdessen aus dem Fenster auf die Niederlassung des
Abendblatts
und anschließend auf das stattliche Gebäude der Isländischen Landesbank. Es sieht aus wie eine Miniaturausgabe der Hauptfiliale in Reykjavík, so wie der Rathausplatz wie eine Miniaturausgabe des Íngólfsplatzes in Reykjavík aussieht. Dann blicke ich wieder nach oben und begutachte die Nackedeis. Das Café trägt den Namen des Liebesgottes Amor. Machen die Nackedeis etwa Liebe? Nein, sie tragen Gläser und Kaffeetassen …
Ich werde bei meiner Kunstkritik gestört, als Jóa hereineilt und sich zu mir setzt.
»Was trinkst du da?«
»Cappuccino. Möchtest du auch einen?«
»Jetzt nicht. Ich will kurz in die Stadt ein paar Fotos machen, die wir bei Bedarf verwenden können. Kann ich den Wagen haben?«
»Bitte sehr«, sage ich, reiche ihr den Schlüssel und zeige auf meine Schrottkarre, die vor dem Kiosk auf der linken Seite des Platzes steht.
Es ist Montagnachmittag, vier Uhr und viel wärmer als an den Tagen zuvor, leicht bewölkt und windstill. Ich könnte mir vorstellen, dass die Einwohner Akureyris Bedenken wegen ihrer Skipisten haben. Es wurde überall mit den großartigen Schneeverhältnissen am Hlíðarfjall über Ostern geworben.
»Ich finde, wir haben uns nach dem ganzen Stress am Wochenende einen kurzen Arbeitstag verdient.«
Ich habe ein paar Routineinfos über den Arbeitsmarkt hier im Norden sowie kurze Polizeimeldungen über Einbrüche und Handgreiflichkeiten abgeschickt.
Außerdem ist ein ganzseitiger Artikel mit Fotos über die Schulaufführung von
Loftur, der Magier
für die Osterbeilage am Gründonnerstag unterwegs. Die Sache mit der Frau, die in den Gletscherfluss gefallen ist, muss ich noch einmal überprüfen.
»Sehe ich auch so«, sagt Jóa. »Wann soll ich dich abholen?«
»So gegen halb sechs. Ásbjörn kommt gleich. Er wollte mich hier treffen. Keine Ahnung, warum. Er macht furchtbares Theater wegen dieses Hundes.«
»Der arme Kerl. Hat er nicht auch Probleme mit seiner Frau?«
Ich zucke die Achseln und zünde mir eine Zigarette an.
Jóa steht auf. »Hast du eigentlich ganz aufgehört zu trinken, Einar?«
Ich schneide eine Grimasse. »Ich weiß nicht. Wann weiß man schon, ob irgendwas für immer ist?«
»Und warum hast du aufgehört?«
»Tja, Hannes hat mir zu verstehen gegeben, die Toleranz der Zeitung sei ausgereizt.«
»Das war bestimmt
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