Todesgott
Freund.«
»Und nach was für einem Unsinn soll ich fragen?«
»Das ist nicht mein Problem. Was ist deine Lieblingsdisco? Nur ein Beispiel. Dir wird schon was einfallen. Das muss jetzt hopp, hopp gehen.«
Ich wähle Jóas Handynummer.
»Hallo«, ist die Antwort.
Ihre Stimme klingt irgendwie belegt.
»Hi. Hör zu, wir müssen noch mal raus und die Frage des Tages klarmachen. Kannst du jetzt gleich herkommen?«
»Okay.«
Ich drehe mich um. Jóa steht mit dem Handy in der Hand im Türrahmen.
Zum Glück sind auf dem Rathausplatz viele Passanten unterwegs. Sie freuen sich natürlich alle auf das österliche Leiden Christi. Innerhalb von zehn Minuten haben vier die Frage beantwortet, die allen auf den Lippen brennt: Wo geht abends die Post ab?
Im Sjallinn. Im Café Akureyri. In der Vélsmiðjan. Im Glaumbær.
Glaumbær? In Reykjavík? Der Schuppen ist doch vor zehn Jahren abgebrannt.
Genau. Aber der ist und bleibt der beste.
Über das Alter dieses Gesprächspartners muss ich wohl nichts sagen.
Mir fehlt nur noch ein Opfer.
Drei junge Mädchen schlendern gutgelaunt durch die Hafnarstræti. Als ich auf sie zugehe und mein Anliegen vortrage, bekommen sie einen Lachanfall.
»Wer von euch möchte die Frage beantworten?«
Sie gackern weiter. Sind die etwa bekifft?
Die Mädchen tragen alle Hüfthosen und bauchfreie Oberteile.
»Antworte du, Solla«, sagte eine von ihnen.
»Ja, Solla«, sagt die zweite, »und du sagst dasselbe, was du uns eben erzählt hast.«
Solla hat ein hübsches Gesicht und ist ein bisschen pummelig. Unter ihrer Jacke trägt sie einen so tief ausgeschnittenen Pulli, dass ein Reporter bei dem Anblick fast die Frage des Tages vergessen könnte.
»Okay«, sagt Solla und reckt die Faust in die Höhe wie bei einer Demo. »Ich antworte.«
»Wie heißt du?«
»Sólrún Bjarkadóttir.«
»Und was machst du, Sólrún?«
»Bin im Gymnasium.«
Jóa schießt ein Foto und verabschiedet sich mit den Worten, sie müsse sich beeilen und die Fotos nach Reykjavík schicken.
»Wo geht abends die Post ab?«
»Im Schwanz von Kjartan Arnarson.«
Alle drei platzen vor Lachen.
»Und wo gehst du am liebsten essen?«, frage ich todernst.
»Am selben Ort!«, ächzt Sólrún. Die Mädchen liegen fast am Boden.
»Und trinken?«, sage ich.
Aber sie sind schon weitergegangen und krümmen sich vor Lachen.
Der Ressortleiter knurrt ungeduldig; wahrscheinlich kommt er zu spät zum nächsten Galadiner. »Einar, das ist doch nicht so schwierig. Das müsstest sogar du hinkriegen! Es gibt fünf Antworten auf die Frage des Tages. Nicht vier, nicht drei, nicht zwei, nicht eine. Fünf. Ef-ü-en-ef! Wir haben fünf Fotos, aber nur vier Antworten. Wo ist die fünfte?«
»Die ist nicht druckreif«, sage ich.
»Ach, und warum nicht?«
»Glaub mir. Sie ist einfach nicht druckreif.«
»Meinst du die Antwort, die zu dem Bild von Sólrún Bjarkadóttir, Gymnasiastin, gehört?«
»Ja, die meine ich.«
»Was hat sie gesagt?«
»Die hat gesagt, dass im Schwanz von Kjartan Arnarson die Post abgeht.«
Der Ressortleiter gackert los. »Wer ist Kjartan Arnarson?«
»Ich weiß es nicht, und ich möchte es auch gar nicht wissen.«
»Come on, Einar. Das ist doch nur ein Schülerwitz. Ist doch lustig. Eine junge, offenherzige Stimme macht sich gut im Blatt. Natürlich drucken wir das!«
Ich spüre, wie sich Schweißperlen auf meiner Stirn bilden. »Bist du verrückt? Kommt nicht in Frage!«
»Darüber hast du nicht zu entscheiden. Ich entscheide das, mein Freund.«
»Aber … aber … aber, wenn dieser arme Kerl … außerdem glaube ich, dass das Mädchen unter Drogen gestanden hat.«
»Aha? Ihr Problem. Nicht unseres. Dass ich mich um so was kümmern muss …«, murmelt Trausti Löve vor sich hin und legt auf.
Die Frau, die in die Vestari Jökulsá gestürzt ist, ist tot. Sie kam nicht wieder zu Bewusstsein. Ihr Name war Ásta Björk Guðmundsdóttir, 55 Jahre alt. Sie hinterlässt einen Mann und einen erwachsenen Sohn.
Jóa schlummert schon längst, als ich es gegen Mitternacht aufgebe einzuschlafen, mich aus dem Bett schleppe, nach Snælda schaue, die friedlich mit dem Kopf unter ihrem Flügel döst, ins Wohnzimmer gehe und das Telefonbuch aufschlage.
Kjartan Arnarson wohnt in Akureyri und ist Gymnasiallehrer.
Holy shit.
[home]
5
Dienstag
A ls ich gegen Mittag unausgeschlafen im Büro eintreffe, erwartet mich eine glückliche Familie. Ich trete über die Türschwelle und werde mit Applaus und
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