Todesgruß vom Gelben Drachen
braunen Anzug, der auf
einem Drahtbügel hing und in einer durchsichtigen Plastikhülle steckte — also
frisch aus der Reinigung kam.
„Wenn ich einen Chinesen sehe“, sagte
Kistler, „muß ich immer an chinesische Küche denken. Die mag ich. Gleich um die
Ecke hier ist ein chinesisches Restaurant. Das Hongkong.“
Richtig! dachte Glockner. Wir sind
durch die Altmarkt-Straße gekommen.
Duvrièl transportierte seinen Anzug am
ausgestreckten Arm. In dem runden Gesicht funkelten die Augen.
Er war noch nicht beim Haus, als Glockner
den Motorradfahrer sah.
Die Ein-Liter-Maschine wummerte heran.
Der Fahrer war in schwarzes Leder gehüllt und trug einen silbrigen Sturzhelm.
„Reiner! Das ist er!“
Duvrièl bemerkte Hung nicht oder wollte
ihn nicht bemerken. Ohne sich umzudrehen, kam Duvrièl herein.
„Es ist besser, Sie bleiben in Ihrer
Wohnung“„ sagte Glockner. Er hielt die Tür einen Spalt offen und äugte hinaus.
Duvrièl nickte und stieg die Treppe
hoch.
Nanu! Glockner verkleinerte den
Türspalt.
Hung hielt neben dem Fiat, spähte zum
Haus her, wirkte angespannt — obwohl sein Gesicht hinter dem Schutz-Visier des
Helms nicht zu sehen war. Doch irgendwas beunruhigte den Kerl. Der Motor lief.
Verdammt! Glockner biß sich fast auf
die Zunge, als er die Zähne zusammenpreßte. Er begriff. Duvrièl, dieser
ausgebuffte Typ, hatte ein Zeichen gesetzt. Der Krimskrams im Rückfenster!
Wahrscheinlich hieß das: Achtung Gefahr! Oder: Bullen im Haus!
Sehr schlau! dachte Glockner. Und den
Beweis bleiben wir schuldig.
„Er hat was gemerkt“, sagte er leise. „Jetzt...
du, der wendet. Er will abhauen. Los, zum Wagen!“
Hung fuhr über den Gehsteig drüben, war
fast fertig mit dem Wenden. Daß sie den Kradfahrer zu Fuß nicht einholen
konnten, war klar. Doch im Wagen befand sich Sprechfunk. Zig Streifenwagen
kreuzten umher in diesem Teil der Stadt. Sie würden dem Dealer den Weg
abschneiden.
Gabys Vater trat ins Freie.
Der Silberhelm ruckte zu ihm herum.
Sofort donnerte der Motor. Die Maschine
schoß vorwärts.
„Hol Peter!“ rief Glockner. Er rannte
zum Wagen.
Hung raste den Roedermann-Weg entlang,
bog rechts ab und war verschwunden.
15. Lam wird hineingezogen
Das alte Muttchen hieß Amalie Körbl,
war gestern 76 geworden und litt an Kniebeschwerden. Aber die Augen waren
gesund. Amalie konnte Zeitunglesen ohne Brille.
Die Wohnung lag an der Altmarkt-Straße,
im ersten Stock, straßenseitig. Wenn Amalie aus dem Fenster blickte — wie jetzt
— bemerkte sie jede Veränderung.
Wie die Nachbarn sich veränderten!
Einige wohnten hier seit 30 Jahren und alterten schneller als die Häuser.
Auch das Ehepaar Biermoser war vor zwei
Jahren verstorben — fast gleichzeitig. Lange, lange — eigentlich seit Amalies
Kindheit — hatten sie das Gasthaus geführt: die Einkehr ZUR DEUTSCHEN EICHE.
Amalie hatte dort ihre Hochzeit
gefeiert. Und Hugo, ihr Mann, war dort jede Woche zum Stammtisch gegangen. Nur
einmal, entsann sich Amalie, war er betrunken über die Straße geschwankt — auf
dem kurzen Heimweg. Das hatte an seiner Erkältung gelegen — nicht an
übermäßigem Bier-Genuß. Ach ja, der Hugo!
Und die DEUTSCHE EICHE gab’s auch nicht
mehr.
Das Gasthaus hieß nun HONGKONG und war
ein chinesisches Spezialitäten-Restaurant.
Gräßlich! Von den Chinesen wußte man
doch, daß sie faule Eier aßen und dem Haifisch die Flossen abschnitten — für
Suppe. Ob Schwalbennester wirklich besser schmeckten als Schwalben? Amalie
bezweifelte das. Und Ente mit Rotkraut oder Sellerie-Salat war ihr allemal
lieber als ,Ente Peking 4 — wie man auf der Speisekarte lesen konnte,
die neben dem Eingang aushing.
Amalie hatte das Fenster geöffnet und
beugte sich hinaus. Luftschnappen nannte sie das. Denn — wie gesagt — bei
längeren Spaziergängen machten die Knie nicht mehr mit.
Sie sah zum HONGKONG hinüber.
Eins mußte man ja zugeben. Dieser Herr
Chung, der neue Besitzer, war sehr höflich. Er grüßte alle Nachbarn — egal, ob
sie bei ihm speisten oder nicht.
Die Straße war fast leer. Nur weit
hinten führten Kinder einen jungen Hund Gassi. Sie liefen mit ihm um die Wette.
Aus der Tiefgarage — schräg gegenüber
dem HONGKONG — rollte ein Wagen. Er bog nach links ab. Amalie kannte die Frau,
die am Lenkrad saß, vom Sehen.
Amalie blickte zur anderen Seite. So
was Verrücktes! Da raste einer auf seinem Motorrad heran, als gäbe es keine
Geschwindigkeits-Beschränkung.
Sicherlich so ein
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