Todeshaus am Deich
die Hacken.«
Christoph drehte sich abrupt um und sah einen Mann mit
wuscheligen Haaren, der einen Stock schwang und damit Frau Beckerling drohte.
»Entschuldigen Sie, Herr Kubelka. Ich habe Sie nicht
gesehen«, erwiderte die alte Dame mit dünner Stimme und machte einen zaghaften
Schritt vorwärts. Dabei stieß sie den Mann erneut mit ihrem Rollator an.
»Jetzt reicht’s mir aber«, brüllte der Mann, und es
hatte den Anschein, als wollte er mit seinem Stock auf Frau Beckerling
einschlagen. Im gleichen Moment tauchte Große Jäger neben ihm auf und hielt den
Stock fest.
»Nun aber sachte, Opa. Wer wird denn so gewaltig
sein?«
Frau Beckerling strahlte den Oberkommissar an.
»Vergessen Sie auch bestimmt nicht, Gerd Bescheid zu
sagen?«, fragte sie und schlurfte weiter.
Der Mann mit dem Stock fasste sich ans Schienbein.
»Die Alte hat doch nicht mehr alle Tassen im Schrank.
Ständig kurvt sie einem mit ihrer Kiste in die Knochen.«
Mit zornig funkelnden Augen sah er Große Jäger an.
»Die spinnt doch. Die bekommt doch nichts mehr auf die Reihe. Kein Wunder. Was
soll man schon von einer ehemaligen Lehrerin erwarten? Was mischen Sie sich
überhaupt ein?«
»Mich geht alles etwas an. Ich stecke meine Nase überall
hinein. Wer sind Sie überhaupt?«, entgegnete der Oberkommissar ungerührt.
»Friedrich Kubelka.« Der Mann reichte Große Jäger die
Hand. Es wirkte wie eine Versöhnungsgeste. »Wen haben Sie besucht? Ich habe Sie
hier noch nie gesehen.«
»Paul Schüttemann.«
»Den Alten? Komisch. Der hatte doch nie Besuch.«
Kubelka stutzte einen Moment. »Wieso? Den können Sie doch gar nicht besuchen.
Der ist doch tot.«
»Und deshalb bin ich hier. Wir sind von der Kripo
Husum.« Dabei zeigte Große Jäger auf Christoph.
»Spannend. Wurde auch mal Zeit, dass sich die Polizei
diesen Laden ansieht. Ich sag ja schon lange, dass es hier nicht mit rechten
Dingen zugeht.«
»Wie sollen wir das verstehen?«
»Das müssen Sie schon selbst herausfinden. Ich will
mir doch nicht den Mund verbrennen«, erwiderte Kubelka. »Fragen Sie doch mal
den alten Rammler. Vielleicht kann der Ihnen was erzählen.«
Der Mann stützte sich auf seinen Stock und verschwand
in einem Seitengang.
»Das ist ja richtig interessant in einem Altersheim«,
sagte Große Jäger zu Christoph und knuffte ihn freundschaftlich in die Seite.
»Hast du dich auch schon angemeldet? Hier geht es ja fast lebhafter zu als bei
uns auf der Dienststelle.«
»Hier mögen sonderbare Menschen herumlaufen, aber
gegen eine bärenstarke Type wie dich sind die alle Waisenknaben«, sagte
Christoph.
Sie hatten jetzt das Foyer erreicht. Neugierig
warteten dort die beiden Männer, die sie bei ihrem Eintreffen an der Tür
begrüßt hatten.
»Wo finden wir Herrn Rammler?«, fragte Christoph den
Kapitän, der offensichtlich nie ohne seine Schippermütze unterwegs war. Ein
breites Lachen zog sich um den faltigen Mund.
»Der bewohnt das Apartment einhundertfünf.«
»Im ersten Stock«, ergänzte sein Kumpan und fing
ebenfalls an zu lachen. »Wetten, dass ihr euren Spaß habt?«, rief er den beiden
Polizisten hinterher, als diese schon auf der Treppe nach oben waren.
Auf das erste Klopfen an der Tür mit den großen
silbernen Ziffern rührte sich nichts. Christoph versuchte es ein zweites Mal.
Erst nachdem er es erneut probiert hatte, entstand Bewegung hinter der Tür. Sie
wurde von einem hochgewachsenen schlanken Mann geöffnet.
Das akkurat gekämmte weiße Haar harmonierte mit dem
braun gebrannten Gesicht und den markanten Gesichtszügen. Die sehnige Gestalt
machte einen außerordentlich gepflegten Eindruck. Dazu passte auch die
Kleidung. Eine dunkelblaue Stoffhose mit tadelloser Bügelfalte, ein am Kragen
offenes kariertes Hemd, über dem der Mann einen Burberry-Pullover trug.
Aus hellen blauen Augen musterte er die beiden Besucher.
»Herr Rammler?«, fragte Christoph.
Es war, als hätte jemand einen Vorhang vor dem Gesicht
weggezogen. Zuerst bebte es kurz um die Mundwinkel, dann zog der Mann die Nase
kraus und kniff die Augen zusammen.
»Wie können Sie es wagen?«, donnerte er los. Er hatte
eine tiefe, wohlklingende Stimme, die es gewohnt war, klar und akzentuiert zu
sprechen. »Wer sind Sie überhaupt?«
Christoph stellte sich und Große Jäger vor.
»Trotzdem haben Sie nicht das recht, mich Rammler zu
nennen. Mir ist bekannt, dass mich andere aus diesem Haus so verspotten. Mein
Name ist Freiherr von Hasenteuffel-Stichnoth. Wenn Ihnen das zu lang
Weitere Kostenlose Bücher