Todeshaus am Deich
versucht, dem
knorrigen Mann diese oder jene Marotte abzugewöhnen, ihn vorsichtig darauf
aufmerksam zu machen, dass er ein wenig mehr auf sein Äußeres achten sollte.
Doch alle Bemühungen waren vergeblich. Eine eigenwillige Persönlichkeit wie die
des Oberkommissars ließ sich nicht ändern. Und missen möchte ich dieses
Schnüffelschwein auch nicht, dachte Christoph. Der Mann war nicht nur ein
ausgezeichneter Polizist, sondern unter seiner speckigen und rauen Schale
steckte eine warmherzige Seele.
»Na endlich«,
knurrte Große Jäger, als Hilke den vollen Kaffeebecher an seinen Schreibtisch
balancierte.
»Was war das noch
für eine Rasse, der Blödmann angehört?«, fragte Hilke.
»Eine Dachsbracke.«
»Ich dachte, es wäre
ein hochgelegter Dackel.«
»Da merkt man wieder
einmal, dass die Landbevölkerung keine Ahnung hat«, entrüstete sich Große
Jäger. »Der Hund ist ein anerkannter Rassehund. Er gehört zur Gruppe der
kleinsten Schweißhunde.«
»Die Tatsache, dass
er in seiner Rassebezeichnung ein ›w‹ hat, musst du ihm aber noch beibringen«,
lästerte Hilke.
Sie wurde durch das
Klingeln des Telefons unterbrochen.
Der Oberkommissar
lauschte einen Moment, bevor er den Teilnehmer am anderen Ende der Leitung
unterbrach.
»Ich schalte den
Raumlautsprecher ein und bitte Sie, noch einmal zu wiederholen«, sagte er. Es
folgte ein Knacken. Dann war eine Frauenstimme zu hören.
»Ja, hallo. Hier ist
Schwester Dagmar von der Hauke-Haien-Residenz. Ich bin mir nicht sicher, ob es
für Sie von Bedeutung ist, aber wir vermissen eine Bewohnerin.«
»Wen?«
»Trude Beckerling
heißt die Frau. Sie ist …«
»Wir sind ihr
begegnet«, unterbrach Große Jäger. Auch Christoph erinnerte sich an die alte
Dame mit dem Rollator, die ständig nach Gerd, dem Hausmeister, gefragt hatte
und dem jährzornigen Kubelka mit ihrer Gehhilfe in die Hacken gefahren war.
»Ja, und als die
zuständige Pflegerin sie heute Morgen versorgen wollte, war Frau Beckerling
weg.«
»Können Sie das ein
wenig ausführlicher erläutern?«, bat Große Jäger, besann sich dann aber eines
Besseren und sagte: »Wir kommen bei Ihnen vorbei.« Er stand auf, griff die
Hundeleine und nickte Christoph zu: »Komm!«
Wenn der
Oberkommissar etwas beschlossen hatte, duldete er keinen Widerspruch.
Sie fuhren das kurze
Stück bis zur Seniorenresidenz.
Vor dem Haus stand
der Hausmeister und fegte den Eingangsbereich. Er grüßte die beiden Beamten
freundlich.
Im Foyer kam ihnen
Schwester Anke entgegen. Sie trug heute eine cremefarbene Jeans und ein weißes
T-Shirt. Gleichzeitig mit ihrem »Guten Morgen« zeigte sie auf den Hund und
sagte: »Tiere dürfen hier nicht hinein.«
»Das ist kein Tier,
sondern ein Polizeihund, der uns bei der Arbeit behilflich ist«, antwortete
Große Jäger bestimmt und zerrte den widerspenstigen Blödmann hinter sich her.
»Der Hund ist
Mitglied unseres Ermittlungsteams«, erklärte er mit einem breiten Grinsen auch
dem Heimleiter, als sie dessen Büro betraten. Das Tier knurrte Brodersen leise
an, legte sich dann aber zu Füßen des Oberkommissars unter den Schreibtisch des
Heimleiters.
Schwester Dagmar war
ebenfalls anwesend und begann zu berichten.
»Frau Beckerling ist
gestern nicht zum Abendessen erschienen. Es kommt öfter vor, dass jemand nicht
essen mag. Das ist Routine. Die alten Leute sagen dann Bescheid, meist bei
Babuschka. Das ist unsere Köchin. So war es auch gestern. In der Küche lag eine
handgeschriebene Nachricht für Irina …«
»Wer ist das?«,
fragte Christoph.
»Entschuldigung.
Irina Schmidt. Das ist Babuschka. Bei ihr war eine Nachricht von Frau
Beckerling hinterlegt, dass die alte Dame nicht zum Abendessen kommt und auch
nicht mehr gestört werden wollte.«
»Können Sie uns den
Zettel zeigen?«, mischte sich Große Jäger ein.
»Natürlich«,
antwortete Schwester Dagmar, aber Brodersen winkte ab und griff zum Telefon.
Sie hörten, wie er mit irgendjemandem sprach und sich nach dem Zettel
erkundigte.
»Folglich haben wir
Frau Beckerling gestern in Ruhe gelassen. Es gab für uns auch keine weitere
Veranlassung, sie noch einmal in ihrem Zimmer aufzusuchen.«
Brodersen hatte
aufgelegt. »Babuschka hat den Zettel gestern in den Müll geworfen. So etwas
bewahren wir nicht auf. Wozu auch?«
»Notfalls stellen
wir die Mülltonne sicher«, sagte Christoph.
Schwester Dagmar und
der Heimleiter wechselten einen raschen Blick.
»Ich fürchte, das
wird schwierig. Wir haben hier ein anderes
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