Todeshaus am Deich
Entsorgungssystem als ein
Privathaushalt. In der Restmülltonne landen auch Nassabfälle aus der Küche. Da
dürfte es unmöglich sein, eine kleine Notiz wiederzufinden«, erklärte
Brodersen.
»Und wie haben Sie
das Verschwinden von Frau Beckerling festgestellt?«
»Vorhin. Kurz nach
neun. Die Frau muss dreimal wöchentlich in die Klinik Husum zur Dialyse.
Deshalb nimmt sie an diesen Tagen auch kein Frühstück ein. Ihre Abwesenheit
fiel uns erst auf, als das Taxi auf sie wartete, das sie schon seit Jahren
routinemäßig zur Blutwäsche bringt. Das ist ein eingespieltes Ritual.«
»Wann wurde die Frau
das letzte Mal gesehen?«
Der Heimleiter
kratzte sich das Kinn, bevor er sagte: »So genau haben wir das noch nicht
feststellen können. Es war gestern Nachmittag.«
»Und seitdem ist
eine Heimbewohnerin wie vom Erdboden verschwunden, ohne dass Sie etwas bemerkt
haben?«, empörte sich Große Jäger.
Brodersen versuchte
sich herauszureden
»Wir gehen auf die
Bedürfnisse unserer Bewohner ein und lassen den Senioren alle erdenklichen
Freiheiten. Wir achten ihre Privatsphäre.«
Er erntete für diese
Anmerkung einen spöttischen Blick des Oberkommissars.
»Jedenfalls ist das
Bett nicht benutzt. Es liegt noch genauso unberührt, wie es die Pflegekraft
gestern nach dem Mittag hinterlassen hat«, ergänzte Schwester Dagmar.
»Können wir das
Zimmer sehen?«, fragte Christoph und war aufgestanden. Der Hund erhob sich nur
widerwillig, als auch Große Jäger aufstand. Sie gingen zum Wohnbereich der
verschwundenen Frau. Auf dem Flur begegneten sie mehreren Bewohnern des Hauses,
die der kleinen Prozession mit neugierigem Blick folgten.
Frau Beckerlings
Apartment lag im Erdgeschoss. Es war relativ klein, aber nach den Bedürfnissen
älterer Menschen eingerichtet und strahlte trotz der unmodernen Einrichtung
eine gewisse Behaglichkeit aus.
Das Bett war
unberührt geblieben. In einer Ecke stand die Gehhilfe, mit der die alte Frau
sich durch die Anlage bewegte. Auf dem kleinen runden Tisch mit der weißen
Tischdecke lag eine offene Fernsehzeitung. Der Apparat mit dem großen
Bildschirm lief noch. Mit einem Seitenblick gewahrte Christoph, dass die Frau
zuletzt NDR gesehen hatte.
»Hat jemand den
Fernseher bedient?«, fragte er trotzdem.
Schwester Dagmar
schüttelte den Kopf.
»Aufgrund der
Erfahrungen der letzten Tage haben wir nichts angerührt.«
Große Jäger hatte
einen Einmalhandschuh übergestreift und den Kleiderschrank geöffnet. Es sah
nicht aus, als wäre Frau Beckerling verreist. Ebenso fanden sich im kleinen Bad
die Utensilien, die man allgemein erwartet.
Auf dem Nachttisch
lag eine kleine Plastikschachtel. Christoph winkte den Oberkommissar heran, der
den Schiebedeckel vorsichtig öffnete. Darunter befanden sich vier Fächer, die
mit »Morgen«, »Mittag«, »Abend« und »Nacht« beschriftet waren. Im »Abend«-Fach
lagen bunte Tabletten.
»Können Sie einen
Blick darauf werfen?«, bat Große Jäger. Schwester Dagmar wollte zugreifen und
die Pillendose in die Hand nehmen, aber der Oberkommissar zog sie rasch zur
Seite.
»Nur ansehen, nicht
anfassen.«
Die
Pflegedienstleiterin musterte die Tabletten, kreiste dabei mit ihrem Finger
über der Ansammlung bunter Pillen und sagte: »Das sind alle Tabletten, die ich
für Frau Beckerling bereitgelegt habe. Bis auf die Schlaftablette.«
»Für abends?«,
fragte Christoph.
»Ja.«
»Das heißt, die Frau
hat seit gestern keine Medikamente mehr eingenommen. Welche Auswirkungen hat
das?«
»Die fehlende
Schlaftablette ist harmlos. Wichtiger sind die Mittel zum Senken des Blutdrucks
und das ASS .«
»Ein
blutverdünnendes Mittel?«, fragte Christoph.
»Richtig. Frau
Beckerling ist seit etwa drei Jahren Dialysepatientin. Deshalb und weil sie
außerdem an Osteoporose leidet, ist sie in ihrer Beweglichkeit stark
eingeschränkt. Das ist der Grund für diese Medikation.«
»Wer ist der
behandelnde Arzt?«
Jetzt stöhnte
Brodersen auf.
»Dr. Michalke«,
sagte er, hob theatralisch die Hände in die Höhe und ergänzte: »Jetzt fängt der
Spuk mit dieser Frau wieder an.«
»Da ist noch etwas«,
warf Schwester Dagmar ein. »Die Frau muss heute unbedingt zur Blutwäsche.«
»Was geschieht, wenn
sie dort nicht hingeht?«
Die
Pflegedienstleiterin hob beide Hände wie zum Gebet in die Höhe.
»Daran mag ich nicht
denken«, erwiderte sie. In ihren Augen spiegelte sich deutlich wider, was sie
dachte, aber nicht aussprach.
»Hat die Frau
Verwandte oder Bekannte in
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