Todeshunger
als gequältes Husten aus der Lunge presst. Ich versuche, um Hilfe zu rufen, bekomme aber keinen Laut heraus.
»Geh runter von ihm, du verdammter Idiot«, höre ich Paul sagen. Ich kann den Kopf drehen und sehe, wie er mit einem Teil des Wagenhebers aus dem Transporter auf den Brutalo einschlägt. Der reagiert nicht, scheint die Hiebe kaum zu bemerken. Er glotzt mit einer bizarren Mischung aus Schrecken und Erregung auf mich herab.
»Wie du«, bringe ich krächzend heraus. »Ich bin wie du.«
Paul und Carol tun sich zusammen und zerren ihn weg. Sie schleifen ihn rückwärts, lassen ihn auf die Kehrseite fallen und machen sich dann aus dem Staub, als hätten sie gerade die Zündschnur einer Dynamitstange angezündet. Ich versuche, mich ebenfalls zu entfernen, und weiche zurück, bis ich die Hauswand hinter mir spüre. Der Brutalo springt mit einem tiefen, warnenden Knurren in die Höhe und sieht uns alle nacheinander an. Dann dämmert ihm offenbar quälend langsam die Erkenntnis. Er sieht von Paul zu Carol und wieder zu mir. Paul geht mit dem Wagenheber auf ihn zu und ist zum Angriff bereit. Carol hält ihn zurück.
»Mach ihn nicht wütend«, zischt sie. »Lass das Ding fallen, und geh weg. Er weiß nicht, was er tut.«
Paul gehorcht und lässt das schwere Metallteil fallen, das laut klirrend auf dem Boden landet. Carol bleibt reglos stehen, während der Brutalo sie von oben bis unten betrachtet, und drückt sich mit dem Rücken gegen den Transporter. Dann wendet er sich langsam ab und schlurft davon. Kaum ist er zehn Meter weit gekommen, erregt etwas anderes seine Aufmerksamkeit, und er verfällt in einen langsamen Trab.
»Was zum Teufel sollte das denn?«, frage ich und richte mich auf.
»Ich habe nicht die geringste Ahnung«, antwortet Paul und konzentriert sich wieder darauf, den Reifen zu wechseln. Ich sehe dem Brutalo nach, bis er aus meinem Blickfeld verschwunden ist. Hat er geglaubt, dass ich einer von ihnen wäre, oder war ich einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort? Hat er mich gesehen und für einen Unveränderten gehalten? Sind die Brutalos wirklich wie wir, oder hat er auf einen Unterschied zwischen uns reagiert?
14
H eute Morgen tun sich Hitze und Feuchtigkeit zusammen und lassen die Welt mehr denn je stinken: der gnadenlose, Brechreiz erregende, erstickende Gestank von Verwesung, überlaufenden Rinnsteinen und Gott weiß was noch allem. Abgesehen vom Lärm dieses verschlissenen alten Transporters herrscht allgemein weitgehend Stille, doch die trügerische Ruhe wird gelegentlich von plötzlichen Ausbrüchen von Lärm unterbrochen: das Militär der Unveränderten, das vorrückt und angreift; Kampfhandlungen in der Ferne; ein Schrei, als jemand gejagt und getötet wird; das Klirren von zersplitterndem Glas; das Krachen einstürzender Gebäude; das gequälte Heulen eines hungernden Tiers auf der Suche nach Futter … Das unablässige, allgegenwärtige Geräusch des Motors ist mir unerwartet lieb und teuer. Es übertönt alles andere.
Ich sitze jetzt vorn bei Keith und weise ihm den Weg. Ich versuche mich zu konzentrieren, doch die Tatsache, dass ein Pub, in dem ich oft einen trinken gegangen bin, einfach verschwunden ist, lenkt mich ab – wo er stand, befindet sich jetzt nur noch eine Lücke, und verkohlte Balken liegen auf der Straße; einen Moment lang begreife ich gar nicht die Bedeutung unseres Aufenthaltsortes. Dann dämmert es mir.
»Halt!«
»Was gibt es für ein Problem?«, fragt er und bremst, hält jedoch nicht an.
»Kein Problem. Bieg hier links ab.«
Er folgt meinen Anweisungen. Carol beugt sich vom Rücksitz nach vorn.
»Ärger?«
»Die Schule der Kinder«, erkläre ich. »Sie haben hier die Schule besucht. Und meine Frau hat da gearbeitet.«
»Und?«
»Wenn ich an Ellis’ Stelle wäre und nicht mehr nach Hause könnte, wäre die Schule möglicherweise die zweitbeste Alternative für mich.«
»Wäre vielleicht einen Blick wert, wo wir schon mal hier sind«, stimmt Keith widerwillig zu. »Aber wenn niemand da ist, verschwinden wir schnellstens wieder, und du auch.«
Die Schule liegt hinter einer Kirche und einer Häuserzeile mit Geschäften und Büros. Am helllichten Tag sieht alles ein wenig vertrauter aus als gestern, aber auch ein wenig mutierter und fremder. Fenster sind eingeschlagen, Türen hängen schief in den Angeln, fast überall, wo ich hinsehe, kann ich Spuren von Kampfhandlungen erkennen. Ein rostiges Autowrack, das auf dem Bürgersteig in eine
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