Todeshunger
Wasser nicht abfließen und verwandelte viele Straßen und Plätze in stehende Gewässer. Keller und Erdgeschosse zahlreicher Gebäude wurden überschwemmt. Fast die Hälfte des Militärstützpunkts im Stadtpark wurde fortgespült, eine Unmenge von Flüchtlingszelten ging verloren. Dann ließ der Regen nach, so schnell wie er gekommen war. Zum Glück blieb die Sonne fast den ganzen Tag hinter einer dichten Wolkenschicht verborgen, doch die sommerliche Hitze und wenige sonnige Augenblicke reichten aus, die geschundene Welt mit brütender Schwüle auszutrocknen. Jede Oberfläche im Freien war mit einer Schicht übelriechenden Schlamms bedeckt, eine dreckige Hochwassermarke an allen Häusern, die daran erinnerte, wie hoch die Flut gestiegen war. Riesige Berge von durchnässtem Abfall und Müll fingen an zu gären, und die Insektenpopulation tat sich daran gütlich und vermehrte sich im Stundentakt.
An der Grenze der Sperrzone patrouillierten ununterbrochen Helikopter. Alle geplanten Einsätze außerhalb der Stadt wurden vorübergehend eingestellt, da sich das mittlerweile stark dezimierte Militär zur Abwechslung einmal tatsächlich um die Tausenden Menschen kümmerte, die sich angeblich in seiner Obhut befanden. Die Befehle waren ganz einfach: so viele Leute wie möglich von der Straße schaffen (tot oder lebendig) und die Hauptverkehrsader durch die Stadt wieder frei machen.
Vor der kunterbunt zusammengewürfelten Gruppe von Fahrzeugen, die langsam durch die Arley Road fuhren, gingen Soldaten im abendlichen Halbdunkel zu Fuß von einem Gebäude zum nächsten. Einer der Lastwagen machte mit seiner Schneepflugschaufel den Weg frei, schob Tonnen regennassen Abfalls an den Straßenrand und ließ einen stinkenden, rund einen Meter hohen Damm aus Abfällen in seinem Kielwasser zurück. Soldaten in Schutzanzügen folgten auf dem frisch gesäuberten Asphalt, zerrten Leichen aus dem Unrat und warfen sie auf die gelben Müll- und Recyclinglastwagen, die man erst kürzlich von der inzwischen zusammengebrochenen Stadtverwaltung requiriert hatte.
Eine Gruppe von drei Soldaten kam aus einem Haus, das einmal eine große Villa gewesen, in den letzten Jahren jedoch in ein Bürogebäude umfunktioniert worden war. Im Licht einer Taschenlampe sprühte einer von ihnen eine einfache Mitteilung auf die Backsteinwand neben der Tür, eine Nachricht für alle, die nach ihnen kamen.
37 IM INNEREN
6 TOTE
20 MEHR
Die Soldaten schenkten den zahllosen bangen Fragen und ausgestreckten Händen der Flüchtlinge, die sich um sie scharten, keine Beachtung und gingen weiter zum nächsten Gebäude. Siebenunddreißig Überlebende, sechs Tote zu entsorgen, Platz für weitere zwanzig im Inneren.
Plötzlich wurde laut an die Tür von Zimmer 33 geklopft. Mark sprang von der Stelle auf dem feuchten Boden hoch, wo er zu schlafen versucht hatte, lief zur Tür und stolperte dabei über die Füße von Kates Vater, die aus dem Bett hingen. Er drückte das Auge an den Türspion.
»Wer ist das?«, fragte Kate, die dicht hinter ihm stand.
»Soldaten.«
»Lass sie nicht rein.«
»Ich muss.«
Der Anführer der Soldaten schlug erneut gegen die Tür und rief ihnen zu, dass sie öffnen sollten.
»Nicht …«, flehte Kate.
»Wenn ich nicht aufmache, schlagen sie die verdammte Tür ein.«
Bevor sie weitere Einwände vorbringen konnte, öffnete er die Tür. Drei Soldaten stießen ihn zur Seite und stürmten herein. Sie standen in der Mitte des Zimmers und leuchteten es mit ihren Taschenlampen aus, damit sie in jede Ecke des engen, überfüllten Raums sehen konnten.
»Was ist los?«, fragte Mark und stellte sich direkt in einen Lichtstrahl.
»Wohnraumbestandsaufnahme«, antwortete der Soldat mit emotionsloser, desinteressierter Stimme und blickte sich um. »Wie viele sind Sie hier?«
»Fünf. Und fünf sind mehr als genug. Wir haben so schon kaum ausreichend Platz. Noch jemanden können wir nicht …«
»Wer?«
»Was?«
»Wer ist hier?«
»Ich, meine Freundin, ihre Eltern und die Frau meines Cousins. Und meine Freundin ist schwanger. Wie ich schon sagte, wir haben keinen Platz für noch eine …«
Einer der Soldaten machte sich eine Notiz. Die anderen sahen sich weiter um. Kate drängte sich zwischen sie und hinderte einen daran, um das Doppelbett herumzugehen. Sie stellte sich vor ihn und streckte den hochschwangeren Bauch so weit vor, wie sie konnte.
»Er hat es Ihnen gesagt. Hier ist kein Platz mehr.«
Der Soldat beachtete sie gar
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