Todeshunger
nicht, schob sie aus dem Weg, duckte sich und sah unter das Bett. Er leuchtete mit der Taschenlampe auf die Leute im Bett, zwei runzlige, ausgehungerte, ältere Flüchtlinge, die unter der Decke vor Angst schlotterten wie Figuren aus einem Kinderbuch von Roald Dahl.
»Ihre Eltern?«
Sie nickte. Er drehte sich um. Lizzie saß vor der Badezimmertür auf einem Stuhl, hatte die Beine angewinkelt und kaute nervös an den Nägeln. Sie hielt den Blick gesenkt und sah nicht auf. Mark versuchte diplomatisch, die Soldaten wieder hinauszulocken.
»Der Partner meiner Cousine …«, erklärte er mit leiser Stimme, damit sie ihn nicht hörte. »Er war, Sie wissen schon … einer von denen. Sie hat ihre Kinder verloren, und seither ist sie ziemlich fertig. Ehrlich, Kumpel, es wäre nicht gut, noch jemanden bei uns einzuquartieren. Zumal das Baby unterwegs ist und …«
»Ist nicht meine Entscheidung, Kumpel«, sagte der Soldat.
»Aber ich war Freiwilliger«, wandte er ein. »Ich war außerhalb der Stadt mit Ihnen. Ich war …«
»Nicht meine Entscheidung«, wiederholte er. Damit verließen die Soldaten das Zimmer. Mark schlug die Tür zu, lehnte sich dagegen und blieb dort, bis er hörte, wie die Tür des nächsten Zimmers geöffnet wurde. Er wollte zu den anderen zurück, aber Kate hielt ihn auf.
»So kann es nicht weitergehen«, flüsterte sie. »Wir sollten eine andere Unterkunft für sie finden. Hier ist es nicht sicher.«
»Und wo genau ist es heutzutage sicher?«, seufzte er und lehnte sich wieder an die Tür.
»Aber sie ist …«
»Sie gehört zur Familie. Wie alle. Deine Familie, meine Familie … unsere Familie. Wir halten zusammen, und damit ist alles gesagt.«
»Aber, Mark …«
»Würde ich von dir verlangen, dass du deine Eltern hinauswirfst?«
»Das ist etwas anderes …«
»Wirklich? Die Diskussion ist beendet, Kate. Es ist eine sinnlose Unterhaltung. Sie gehört zur Familie und bleibt. Niemand wird weggeschickt.«
24
W ieder in der Zelle. Ich habe kooperiert und mich zurückbringen lassen. Dachte, Stille und Dunkelheit würden mir beim Nachdenken helfen. Für den kurzen Rückweg haben die mir den Kopf wieder bedeckt.
Je länger ich allein war, desto unsicherer wurde ich. Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Mir ist unbegreiflich, warum ich Mallon nicht getötet habe, als ich die Möglichkeit dazu hatte, weiß aber gleichzeitig, dass er meine einzige Hoffnung ist, solange ich hier bin. Bis jetzt hat er mich noch nicht verarscht. Aber falls er es versucht, da er jetzt denkt, dass ich ihm vertraue, werde ich ihn töten, noch ehe er richtig merkt, dass ich es mir anders überlegt habe.
Ich bin immer noch an das Bett gefesselt, aber jetzt sind die Schellen nur locker am Bettgestell befestigt, und ich kann mich bewegen. Ich konnte das Brett entfernen und zum ersten Mal nach draußen sehen, aber die Aussicht ist enttäuschend begrenzt. Durch das Fenster sehe ich nur die roten Backsteinfassaden anderer Teile dieses Gebäudes, und weiter unten das graue Schieferdach eines weiteren Flügels. Außerdem ein paar Fenster, die ich in der Hoffnung beobachtet habe, ich könnte andere wie mich sehen. Noch habe ich keine entdeckt. Aber jetzt ist es dunkel. Vielleicht sehe ich morgen mehr.
Meine Gedanken wirbeln durcheinander. Kann immer
noch nicht klar denken und die Lage deuten. Die Trennlinien zwischen dem, was ich fühle, und dem, was ich weiß, verschwimmen in einer Weise, dass ich überhaupt nichts mehr begreife. Ich verspüre Wut und Frustration, dass ich Mallon nicht getötet habe, und dann wünsche ich mir, er würde wiederkommen, damit wir uns unterhalten können. Er soll mir sagen, was er über Ellis weiß, aber gleichzeitig ist mir klar, dass er noch nichts herausgefunden haben kann. Ich bin nicht einmal sicher, ob er überhaupt die Möglichkeiten besitzt, etwas in Erfahrung zu bringen, kann die Möglichkeit jedoch nicht ausschließen. Vielleicht töte ich ihn einfach, wenn er das nächste Mal dieses Zimmer betritt, und mache diesem sinnlosen Grübeln ein Ende.
Ich setze mich wieder auf das Bett (die Matratze habe ich umgedreht, aber sie ist immer noch feucht), sehe zur Decke und folge wieder den inzwischen vertrauten Mustern der vergilbten Tapete. Wenn ich Mallon töten würde (und ich weiß, dass ich das kann), was würde es mir bringen? Ich weiß immer noch nicht, wo ich bin. Ich könnte von Hunderten der Unveränderten umgeben sein, die alle bis an die Zähne bewaffnet sind. Ich könnte tot
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