Todeshunger
unversehrte Fenster (nur eine Glasscheibe ist vernagelt) und vor mir einen großen Schreibtisch aus Holz mit einem Sessel auf jeder Seite. Sahota schließt die Tür ab, dann setzt er sich mit dem Rücken zu den Fenstern an den Schreibtisch. Er gibt mir zu verstehen, dass ich gegenüber Platz nehmen soll.
»Wo möchten Sie anfangen?«, fragt er mit einem gestochenen, gebildeten Akzent, während er mir etwas zu trinken einschenkt und über den Tisch schiebt.
»Weiß nicht«, murmle ich kläglich, während ich durstig das Wasser hinunterschütte. Ehrlich gesagt habe ich so viele Fragen, dass ich nicht weiß, mit welcher ich anfangen soll.
»Keine Bange«, sagt er grinsend, »das ist nicht ungewöhnlich. Sie haben viel durchgemacht.«
»Ich weiß nicht, was ich durchgemacht habe.«
Er grinst erneut. »Wir hätten es nicht so gemacht, wenn es eine Alternative gäbe.«
»Und was genau haben Sie gemacht?«
»Wer hat nach Ihnen gesehen, Selena, Joseph oder Simon?«
»Nach mir gesehen? So würde ich es nicht ausdrücken.«
»Wer?«
»Joseph.«
»Und was hat er Ihnen gesagt?«
»Eine Menge Blödsinn darüber, dass man den Teufelskreis durchbrechen muss, Feuer nicht mit Feuer bekämpfen darf, den Hass unterdrücken muss … Er sagte, je mehr ich kämpfe, desto schwerer würde es.«
»Haben Sie etwas davon geglaubt?«
Ich zucke die Achseln. Ehrlich gesagt weiß ich immer noch nicht, was ich glauben soll.
»Manches schien logisch.«
»Na ja, ein Teil seiner Worte scheint Wirkung bei Ihnen gezeigt zu haben, denn Sie sind hier, und er ist noch am Leben. Andernfalls hätten Sie ihn getötet.«
»Er sagte, dass ich nur wegen des Hasses hier eingesperrt wäre. Er sagte, je mehr wir kämpfen, desto weniger bekommen wir.«
»Und was meinen Sie dazu, Danny?«
»Ich bin nicht sicher, was ich davon halten soll …«
»Aber Sie müssen doch eine Meinung haben? Sie können mir nicht erzählen, dass ein intelligenter Mann wie Sie stundenlang allein dort unten in der Dunkelheit gelegen und nicht über das nachgedacht hätte, was man ihm erzählt hat.«
»Ich glaube, er hatte recht, als er sagte, dass wir in einem Teufelskreis gefangen sind und es nur schlimmer werden kann …«
»Fahren Sie fort …«
»Aber ich verstehe nicht, was das für einen Unterschied macht? Was sollen wir sonst tun? Wir können nicht mit den Unveränderten leben, wir müssen sie töten.«
»Da haben Sie vollkommen recht.«
»Und wie gewinnen wir einen Krieg, ohne zu kämpfen?«
Sahota steht auf, nimmt sein Getränk und geht ans Fenster. Er sieht hinaus und wählt die nächsten Worte sorgfältig und mit Bedacht.
»Es gibt eine Alternative.«
»Tatsächlich? Ich sehe keine.«
»Das liegt daran, dass Sie an der falschen Stelle suchen. Sie müssen Ihre Perspektive ändern, Danny, und nur darum geht es. Darum sind wir hier. Sagen Sie mir, haben Sie, bevor wir Sie hierherbrachten, jemals von Chris Ankin und seinen Plänen gehört?«
»Ich habe seine Botschaften gehört, als der Krieg angefangen hat und ich ein paar Tage bei einer Gruppe war. Die sagten, dass sie versuchen, eine Armee aufzubauen.«
Er dreht sich zu mir um. »Und was halten Sie davon?«
»Ganz ehrlich?«
»Ja.«
»Sobald wir uns in größerer Zahl zusammenrotten, bombardiert uns der Feind und macht uns fertig.«
»Vollkommen richtig. Wir sind immer noch in der Minderzahl, und die verfügen immer noch über eine militärische Hierarchie mit funktionierenden Befehlsketten. Wir könnten nur in sehr begrenztem Maße zurückschlagen, und vermutlich würden sie uns tatsächlich vernichtend zusammenbomben. Während wir uns auf eine ihrer Städte konzentrieren, blieben alle anderen ungeschoren. Sie haben schon bewiesen, dass sie bereit sind, Tausende ihrer eigenen Leute zu opfern, um uns zu vernichten. Man muss nur daran denken, wie sie London verloren haben …«
»Was genau ist in London passiert?«
»Sie haben es nicht gehört?«
»Nicht alles, nur ein paar Einzelheiten.«
»Das geschah schon früh, bevor die Flüchtlingslager eingeführt wurden. Und es ist nicht so, dass wir es geplant hätten, sie konnten es nur nicht verhindern. Die Hauptstadt war so groß, so weiträumig, dass sie sie nicht verteidigen konnten … London hat uns gezeigt, was wir erreichen können. Die Straßenkämpfe müssen unglaublich gewesen sein. Ich wünsche mir fast, ich wäre dabei gewesen. Im Vergleich zu ihnen waren wir verschwindend wenige, aber die Panik, die wir verursacht haben, war
Weitere Kostenlose Bücher