Todeshunger
den Weg, und mir kommt es vor, als würde er mich irgendwie verspotten. Das ertrage ich nicht. Dieser ganze Quatsch geht schon zu lange. Ich glaube nicht, dass noch jemand in diesem verdammten Gebäude ist. Ich werde ihn töten, und dann suche ich mir einen Weg hinaus.
Ich stürme auf den Wichser los, doch er weicht mir geschickt aus und stößt mich in den anderen Raum. Ich wirble in dem Moment herum, als er mir die Tür vor der Nase zuschlägt.
»Vermasseln Sie es nicht«, ruft er mir noch zu, ehe sie ganz geschlossen ist. Ich höre einen Riegel, dann seine gedämpfte Stimme, die immer noch zu mir spricht. »Haben
Sie Vertrauen, Danny, Sie haben es fast geschafft. Denken Sie an alles, was Sie gelernt haben …«
Ich hämmere gegen die Tür, doch es nützt nichts – sie ist abgeschlossen, und er ist fort. Wie konnte ich nur so dumm sein und in eine so primitive Falle laufen?
Ich warte darauf, dass Sahota endlich sein Gesicht zeigt.
Ich bin bereit für einen Kampf. Der Dreckskerl wird tot sein, ehe er merkt, mit wem er es zu tun hat.
27
S tille. Absolute, verfluchte Totenstille. Ich bleibe stehen, betrachte die andere Tür und warte darauf, dass sie aufgeht, da ich zum Angriff bereit bin. Niemand kommt. Ist das wieder eine Falle? Noch mehr alberne Spielchen? Lassen die mich warten, damit ich in Panik gerate und zusammenbreche? Dazu ist es zu spät.
Beide Türen sind verschlossen, doch das Oberlicht steht einen Spalt offen. Mit gefesselten Händen klettere ich auf einen Stuhl und versuche mich hochzuhieven. Die klirrenden Ketten ziehen schwer an meinen Handgelenken, und der Rahmen des Oberlichts scheint mir nicht stark genug zu sein, dass er mein Gewicht hält …
»Wohin des Weges?«
Ich lasse mich fallen, wirble herum und werfe mich auf den Mann an der Tür. Ich schwinge die Kette fest genug nach seinem Kopf, um ihn zu enthaupten. Irgendwie gelingt es ihm, sich zu ducken, dann verpasst er mir einen Schlag in den Magen. Ich stolpere über den Stuhl, auf dem ich eben noch gestanden habe, falle und stoße mir den Kopf am Boden. Ich rolle mich ab und will aufstehen, aber der Dreckskerl ist schnell. Er stößt mich wieder zurück, tritt mit dem Stiefel zwischen meine Schulterblätter und verhindert so, dass ich mich bewegen kann. Ich wappne mich für seinen nächsten Schlag, doch es kommt keiner, und dann nimmt er den Fuß wieder herunter. Ich
blicke auf und sehe, dass er sich entfernt. Verwirrt ziehe ich mich an einem anderen Stuhl hoch, hole tief Luft und drehe mich zu dem Mann um.
Was? Wie kann er …?
»Sie müssen Danny McCoyne sein«, sagt er, doch ich kann nicht antworten. »Ich bin Sahota.«
Vor mir steht – in einem schicken, wenn auch etwas zerknitterten Nadelstreifenanzug und erstaunlich sauberem weißem Hemd – einer von unseren Leuten. Er ist kein Unveränderter. Ich vergewissere mich nochmals, weiß aber, ich habe recht. Dieser Mann ist ein Freund und Verbündeter; ich weiß sofort, dass wir auf derselben Seite stehen. Er ist klein und zierlich gebaut, was er jedoch durch Selbstvertrauen und Haltung wieder wettmacht. Die Überraschung und Verwirrung, die er meinem Gesicht offenkundig ansieht, scheinen nicht unerwartet für ihn zu sein.
»Ich entschuldige mich für die ganzen Tricks und den Blödsinn der vergangenen Tage«, sagt er und bedeutet mir, dass ich ihm ins Nebenzimmer folgen soll. Kaum in dem Zimmer, bleibt er stehen, als wäre ihm etwas Wichtiges eingefallen. Er sucht in der Hosentasche, holt einen Schlüssel heraus und löst die Kette um meine Handgelenke. Er wirft sie in das Wartezimmer hinaus und schließt die Tür hinter uns.
Ich kann Sahota nur verständnislos anstarren. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber etwas wie ihn ganz sicher nicht. Er ist gut vierzig Zentimeter kleiner als ich, dunkelhäutig und hat kurzes, dunkles, an den Schläfen graues Haar. Sein Schnurrbart ist ordentlich gestutzt, und er trägt eine Nickelbrille. Zum ersten Mal seit Monaten denke ich an mein verwahrlostes Äußeres; Hose und
Hemd eines Toten, keine Schuhe, langes, verfilztes Haar, Stoppeln im Gesicht.
»Kommen Sie, und setzen Sie sich«, sagt er und führt mich weiter in das Zimmer. Es handelt sich um ein geräumiges, relativ sauberes, aufgeräumtes Büro, das zum Wohnzimmer umfunktioniert wurde. In einer Ecke steht ein Metallbett wie das in meiner Zelle, freilich mit sauberem Bettzeug, das militärisch exakt zusammengelegt wurde. An einer Wand sehe ich mehrere riesige, weitgehend
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