Todesinstinkt
hatte das Abteil verlassen.
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H äufig fragen sich Amerikaner und nicht zuletzt die Bewohner der Hauptstadt, ob die Stadt Washington im District of Columbia liegt oder der District of Columbia ist. Im Jahr 1920 hieß die Antwort auf diese Frage: weder noch. Die Stadt Washington gab es nicht.
Als die Vereinigten Staaten Ende des achtzehnten Jahrhunderts ihre Hauptstadt am Ufer des Potomac zwischen Maryland und Virginia anlegten, wurde dafür eine vollkommen quadratische Fläche ausgewählt, deren Seiten jeweils exakt zehn Meilen lang waren. Das gesamte Quadrat wurde als Territorium von Columbia bezeichnet. Auf diesem Gebiet befanden sich drei Gemeinden: die frühe Siedlung Georgetown, die Stadt Alexandria, die früher zu Virginia gehört hatte, und die neue Hauptstadt Washington.
Über ein halbes Jahrhundert später wurde im Zuge zahlreicher, letztlich vergeblicher Kompromisse zwischen dem Norden und dem Süden auch für das Territorium von Columbia eine Abmachung getroffen. Das arme und entschieden für Sklaverei eintretende Alexandria wurde an den Sklavenstaat Virginia rückübertragen, während der Handel mit Menschen überall sonst auf diesem Gebiet verboten wurde. Damit verlor die Haupstadt ihre geometrische Vollkommenheit und etwa ein Drittel ihrer hundert Quadratmeilen. Inzwischen wuchsen Georgetown und Washington mehr und mehr zusammen. Daher fasste der Kongress die
beiden Gemeinden in den 1870er Jahren mit dem Rest des Gebiets zum District of Columbia zusammen.
Ab diesem Zeitpunkt gab es offiziell betrachtet keine Stadt Washington mehr. Doch über dieses feine Detail hat sich nie jemand den Kopf zerbrochen, und alle sprechen über Washington, als wäre es eine richtige Stadt.
B erichten Sie mir von Fortschritten, Littlemore«, bat der Justizminister mit seiner sanften Carolina-Stimme an einem Vormittag Ende Oktober, nachdem er seinen neuen Mitarbeiter in sein luxuriöses Büro gebeten hatte, das größer war als viele New Yorker Wohnungen. »Es wäre mir sehr recht, wenn ich bald Fortschritte vorweisen könnte.«
»Rechtzeitig zur Wahl?«
»Richtig.«
»Leider habe ich nicht viel für Sie, Mr. Houston.« Littlemore war frustriert, keine seiner Spuren hatte etwas Brauchbares ergeben. »Meine Leute haben noch niemanden gefunden, der den Fluchtlastwagen nach dem Bombenanschlag gesehen hat. Aber es kann nicht mehr lange dauern. Irgendjemand muss doch was beobachtet haben. Inzwischen habe ich alle abgeklopft, die etwas mit der Goldverlegung zu tun hatten. Der Einzige, der auffällt, ist Riggs, und der ist tot.«
»Riggs?«, fragte Houston. »Wer ist das?«
»Ein Angestellter von Ihnen, der am sechzehnten September gestorben ist.«
»Ach ja. Was ist mit ihm?«
»Riggs hat letzten Juli einen Pass beantragt«, antwortete Littlemore. »Wollte wohl eine Auslandsreise machen.«
»Also war er einer der Verbrecher!«
»Sieht so aus. Dummerweise kann ich niemanden auftreiben, der ihn kannte. Keine Frau. Keine Verwandten. Er wurde 1917 hier in Washington von der Treasury eingestellt. Und letztes Jahr nach New York versetzt. Wer war für seine Versetzung zuständig, Sir?«
»Ich habe keine Ahnung. Ich bin erst seit diesem Jahr Justizminister.«
»Könnten Sie das herausfinden?«
»Das dürfte kein Problem sein.«
Littlemore rieb sich übers Kinn. »Ich frage mich, ob sie das Gold aufs Meer rausgeschafft haben. Der Hafen ist gleich in der Nähe der Wall Street. Haben wir die ablegenden Schiffe in New York überprüft?«
»Was für eine Frage! Der Zoll inspiziert jedes Stück Frachtgut, das auf auslaufende Schiffe gebracht wird. Gold ist sehr schwer, Littlemore. Es ist ganz und gar ausgeschlossen, dass zwölftausend Pfund Gold verladen werden, ohne dass wir davon erfahren.«
»In Ordnung, nehmen wir also an, dass sie es nicht mit dem Schiff abtransportiert haben. Sondern mit dem Lastwagen. Doch was dann? Sie sind der Experte, Mr. Houston. Wenn man auf so viel Metall sitzt, was macht man damit?«
»Man schmilzt es ein. Gießt es zu neuen Barren.«
»Warum?«
»Jeder Barren der US Treasury trägt unser Zeichen. Um das Gold zu verkaufen, müssen die Diebe dieses Zeichen tilgen, und die einzige Möglichkeit dafür ist das Einschmelzen. Sobald das Gold zu neuen Barren gegossen ist, kann man es nicht mehr aufspüren. So läuft das zum Beispiel bei sowjetischem Gold.«
»Die Russen haben Gold?«
»Riesige Mengen – aus dem Zarenschatz. Es ist Schmuggelware, die nirgends in der zivilisierten Welt
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