Todesinstinkt
»Führt direkt aufs Wasser. Bei einer Razzia werfen sie ihren ganzen Schnaps in ein Boot und los damit. Die Cops finden nie was. Bei Flut schmeißen sie das Zeug einfach ins Wasser. Taucher holen es dann wieder raus.«
»Ich glaube, ich habe noch nie erlebt, dass Sie gegen das Gesetz verstoßen«, sagte Younger.
»Ich verstoße nicht gegen das Gesetz. Ich nehme eine Sassafras-Limonade.«
»Wozu sind wir dann hier?«
»Damit Sie was trinken können. Sie sehen aus, als könnten Sie was vertragen.«
Younger dachte über den Vorschlag nach und fand ihn zutreffend. Den ganzen Tag hatte er immer wieder am Empfang nachgefragt, ob ein Brief oder ein Telegramm von Colette gekommen war. Und mit jedem Nein des Angestellten wurde Younger wütender auf sich, weil er sich überhaupt noch um sie kümmerte.
Littlemore bestellte sein Getränk, Younger einen Whiskey.
Der Kellner brachte ihm eine ungeöffnete Flasche und ein »Setup«, das aus einem Glas Eis und Soda bestand.
Der Detective erläuterte es ihm. »Sie schenken sich ein, dann stecken Sie die Flasche in die Jackentasche. Wenn die Polizei kommt, sagen die Barbesitzer, dass sie nur Soda verkaufen. Schließlich können sie nichts dafür, wenn die Gäste Schnaps mitbringen.«
Younger goss sich einen Doppelten ein und stieß wortlos mit Littlemore an. Er kam sich irgendwie anrüchig vor mit der Flasche Whiskey in der Tasche – falls es überhaupt Whiskey war, was Younger bezweifelte, denn es schmeckte eher wie Reinigungsalkohol. Dennoch leerte er das Glas und schenkte sich nach. »Fröhliche kleine Kneipe. Die Atmosphäre gefällt mir.«
An der Bar saßen Männer über ihre Getränke gebeugt und unterhielten sich mit leiser Stimme. Selbst der Barkeeper war schweigsam. An einem Ende des Tresens hielt sich eine einsame Frau mit Boa an einem Cocktail fest; niemand sprach sie an. Bei der Tür hantierte der Aufpasser allein mit einem Pack Karten herum, doch er spielte nicht, sondern mischte nur immer wieder.
»Überall das Gleiche in der Stadt«, sagte der Detective. »Alle sind noch verstört von dem Anschlag. Bloß im Bankers and Brokers Club nicht. Die waren in bester Feierlaune, als ich vor zwei Tagen dort war. Wahrscheinlich vor Erleichterung, dass sie nichts abbekommen haben. Ach übrigens, heute kam ein Doktor ins Bellevue, um nach der Doppelköpfigen zu schauen. Er hat von den Schüssen in der Kirche gehört und sie an der Beschreibung erkannt. Ihr Name ist Quinta McDonald. Ich habe herausgefunden, was ihr fehlt. Der Arzt hat gemeint, es ist vertraulich, aber ich hab es ihm
aus der Nase gezogen. Sie hat Syphilis. Anscheinend kann Syphilis zu Wucherungen am Körper führen.«
»Im tertiären Stadium, ja.« Younger überlegte. »Vielleicht ist sie deswegen auch dement.«
»Das hat der Doktor auch gemeint. Es hat auf ihr Hirn übergegriffen. Sie leidet unter Wahnvorstellungen.«
»Ich habe vor einigen Jahren Studien zu syphilitischer Demenz durchgeführt. Wenn sie das hat, dann ist es unheilbar.«
»Nun gut, dann gehe ich eigentlich davon aus, dass sich die Miss keine Sorgen mehr machen muss.«
»Wie das?«
»Fangen wir mit Amelia an, der Frau, die den Zahn in Ihrem Hotel deponiert hat. Amelia steckt irgendwie in Schwierigkeiten und muss einen Zahn bei Bekannten hinterlassen, damit sie ihr helfen. Aber der Hotelangestellte gibt ihn aus Versehen Colette. Drobac beschattet inzwischen Amelia. Er will herausfinden, wem sie den Zahn zukommen lassen möchte. Als der Zahn in Colettes Hände gerät, denkt Drobac, dass er sie ausschalten muss. Also entführt er sie mit seinen zwei Kumpanen. Danach wird Amelia bei dem Bombenanschlag getötet, Drobacs Komplizen sterben bei Colettes Befreiung, und Drobac landet hinter Gittern. Bleibt nur noch die Doppelköpfige, diese McDonald. Wir wissen nicht, warum sie es auf Colette abgesehen hatte – wahrscheinlich ist sie wahnsinnig von der Syphilis – , aber das spielt keine Rolle mehr, weil sie jetzt im Koma liegt. Alle Beteiligten sind also entweder tot, eingesperrt oder sonst aus dem Spiel. Fall abgeschlossen.«
»Was ist mit der anderen Rothaarigen?«, wandte Younger ein. »Da waren doch zwei vor dem Polizeirevier.«
»Eine Freundin der McDonald. Vielleicht die Schwester. Kein Grund zur Sorge.«
»Ich dachte, Sie gehen nicht von Annahmen aus.«
»Tu ich auch nicht. Ich wollte nur ausprobieren, wie es klingt.«
»Und wie klingt es?«
»Vollkommen sinnlos«, stellte Littlemore fest.
Längere Zeit tranken die beiden
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