Todesinstinkt
darauf, dass er gefeuert wird.« Die poetischen Neigungen Hylans waren deutlich weniger ausgeprägt als die des Commissioners. Er war eher klein, fettiges, stets unfrisiert wirkendes Haar fiel ihm in die Stirn, und seine Augen huschten umher wie die eines Eichhörnchens. Zu seinen Lieblingsbeschäftigungen gehörte es, von einem Podium ins Publikum zu wettern, was er häufig und herzlich schlecht praktizierte. Vor seiner Zeit als Bürgermeister von New York war er Ingenieur der Hochbahngesellschaft von Brooklyn gewesen, die ihn entließ, nachdem er mit einer Lokomotive fast einen Vorarbeiter überfahren hatte. Politisch gesehen war er ein Niemand, von der Tammany Hall aus dem Ärmel gezaubert, deren Verantwortliche ihn zu Recht als Mann einschätzten, dem sie vertrauen konnten.
»Und ich will, dass dieser Mann aus dem Gefängnis kommt. Noch heute.«
»So gern ich Ihrer Andordnung nachkommen würde, Mr. Mayor, aber ich unterstehe auch noch einem anderen Herrn: dem Gesetz.«
»Erzählen Sie mir nichts vom Gesetz«, konterte Hylan. »Ich kenne das Gesetz. Vergessen Sie nicht, wen Sie vor sich haben. Sie könnte ich ebenfalls rauswerfen.«
»Dieses Recht haben Sie, stimmt«, stellte Enright fest.
McAdoo ging schlichtend dazwischen. »Wir sollten einen kühlen Kopf bewahren und uns auf die Fakten konzentrieren.«
»Washington hat sich hier nicht einzumischen«, blaffte der Bürgermeister. »Das ist eine Angelegenheit der Stadt.«
McAdoo antwortete, ohne die Stimme zu erheben. »Seit dem sechzehnten September sind die Angelegenheiten von New York auch die von Washington. Ich habe den Präsidenten heute noch nicht erreicht, aber meine Frau ist der Auffassung, dass Wilson über eine Entlassung des Captains nicht sehr erfreut wäre.«
»Seine Frau?« Ungläubig riss Hylan die Augen auf. »Seine Frau? Und was ist mit Ihrer Frau, Commissioner, hat sie auch eine Meinung dazu? Entschuldigen Sie bitte, ich muss mal schnell meine Frau fragen, was der Präsident will.«
»Um Himmels willen, Hylan«, erwiderte der Commissioner. »McAdoo ist mit der Tochter des Präsidenten verheiratet.«
Einen Moment herrschte Schweigen.
»Tochter.« Der Bürgermeister wischte sich mit einem schmutzigen Taschentuch die Stirn.
Schließlich räusperte sich Littlemore. »Ähm, bin ich zufällig der Captain, von dem hier alle reden?«
Der Polizeichef übernahm die Antwort. »Stimmt es, Littlemore, dass Sie letzte Woche einen Mann aus dem Krankenhaus geholt und ihn eingesperrt haben, obwohl er gerade wegen komplizierter Gesichtsfrakturen eine schwere Operation hinter sich hatte?«
»Dieser Kerl? Der hat einen noblen Anwalt?«
»Ja. Wie ich höre, heißt er Mr. John Smith. Außerdem habe ich gehört, dass sein Angreifer ein enger Freund von Ihnen ist. Und dass Sie persönlich dafür gesorgt haben, dass Ihr Freund auf Kaution freigekommen ist.«
»Wie hat der Anwalt das erfahren?«
»Ich gehe also davon aus, dass ich richtig informiert bin.«
»Ja, Sir. Ich glaube, der Kerl heißt in Wirklichkeit Drobac, Mr. Enright, und möglicherweise ist er der Mörder vom Woolworth-Hochhaus.«
»Möglicherweise?« Hylan winkte verächtlich ab. »Jeder ist möglicherweise der Mörder.«
»Nein, Sir. Es gibt nur fünfzig Leute, die als Täter infrage kommen. So viele waren zum Zeitpunkt des Mordes auf der Aussichtsplattform, und mehr als ein Dutzend davon waren Kinder. Dieser Kerl war dort und wurde von einem Augenzeugen als gesuchter Entführer erkannt.«
»Angeblich erkannt, Captain«, korrigierte Enright. »Von dem Mann, der ihn angegriffen hat. Und den Sie freigelassen haben. Ihr Freund. Der sich selbst wegen Mordversuchs verantworten muss.«
»Dr. Younger hat der Polizei schon öfter geholfen«, sagte Littlemore. »Er ist ein Harvard-Mann. Und er hat im Krieg gekämpft.«
»Im Krieg«, wiederholte Enright düster. »Sie wissen genauso gut wie ich, Littlemore, dass viele Veteranen nach ihrer Heimkehr eine Neigung zu Gewalttätigkeit gezeigt haben – und dass es nicht selten zu Körperverletzungen gekommen ist.«
»Dieser Mann nicht.«
Hylan ging dazwischen. »Enright, fragen Sie Ihren Captain, welchen Beweis er dafür hat, dass Smith den Woolworth-Mord begangen hat. Wie ich erfahren habe, gibt es nicht den geringsten.«
»Littlemore?«
Unruhig wechselte der Detective die Position. »Na schön, ich habe keine Beweise – noch nicht. Aber Dr. Younger hat ihn eindeutig als Drobac identifiziert, der am Abend vorher eine Entführung und einen
Weitere Kostenlose Bücher