Todeskampf - Robotham, M: Todeskampf - The Night Ferry
erzählen, was mit den Tsunami-Waisen geschehen ist? In Sri Lanka haben die Tamil Tigers sie als Soldaten rekrutiert, Jungen, zum Teil nicht älter als sieben Jahre. In Indien haben sich gierige Verwandte wegen der von der Regierung in Aussicht gestellten Unterstützung um die Kinder gestritten – und sie dann verlassen, sobald das Geld geflossen war.
In Indonesien haben die Behörden allen nicht muslimischen Paaren die Adoption verweigert. Truppen haben dreihundert Waisen aus einem von einer christlichen Wohlfahrtsorganisation gecharterten Flugzeug gezerrt und dann ohne Obdach oder Nahrung zurückgelassen. Selbst Länder wie Thailand und Indien, die Adoptionen ins Ausland erlauben, haben ihre Grenzen plötzlich dicht gemacht – eingeschüchtert durch unbestätigte Geschichten von Waisen, die von Pädophilenbanden außer Landes geschleust worden sein sollen. Es war lächerlich. Man schließt auch nicht das internationale Banksystem, weil irgendwo jemand eine Bank ausraubt. Man fängt den Räuber und macht ihm den Prozess. Aber wenn ein Kind in die Hände von Menschenschmugglern gefallen ist, wird das System internationaler Adoptionen geschlossen und das Leben für Millionen von Waisen verschlimmert.
Die Leute begreifen das schiere Ausmaß des Problems einfach nicht. Jedes Jahr werden zwei Millionen Kinder zur Prostitution gezwungen – eine Million davon in Asien. Und in Afrika werden jede Woche mehr Kinder zu Waisen als insgesamt durch den Tsunami in Asien. Allein südlich der Sahara sind es dreizehn Millionen.
Die so genannten Experten sagen, die Kinder dürften nicht wie Waren behandelt werden. Warum nicht? Ist es nicht besser, man wird wie eine Ware behandelt, als wie ein Hund zu leben? Zu hungern. Zu frieren. Im Dreck zu vegetieren. In die Sklaverei verkauft zu werden. Vergewaltigt zu werden. Es heißt, es dürfe nicht ums Geld gehen. Worum soll es denn sonst gehen? Wie wollen wir sie sonst retten?«
»Sie denken, das Ziel heiligt die Mittel.«
»Ich denke, es sollte ein Faktor sein.«
»Man kann Menschen nicht wie einen Rohstoff behandeln. «
»Natürlich kann ich das. Ökonomen tun es ständig. Ich bin Pragmatiker.«
»Sie sind ein Monster.«
»Zumindest ist es mir nicht egal. Die Welt braucht Leute wie mich. Realisten. Tatmenschen. Was machen Sie denn? Sie übernehmen die Patenschaft für ein Kind in Burundi oder spenden für Comic Relief . Sie versuchen ein Kind zu retten, während zehntausend andere sterben.«
»Und was ist die Alternative?«
»Ein Kind zu opfern, um zehntausend andere zu retten.«
»Wer trifft die Wahl?«
»Verzeihung?«
»Wer entscheidet, wer geopfert wird?«
» Ich entscheide. Ich verlange nicht, dass andere mir diese Entscheidung abnehmen.«
Von diesem Moment an hasse ich ihn. Trotz all seines dunklen Charmes und seiner eleganten Eindringlichkeit ist Shawcroft ein Tyrann und ein Eiferer. Da sind mir Brendan Pearls Motive noch lieber. Er versucht wenigstens nicht, seine Morde zu rechtfertigen.
»Was passiert, wenn sich das Verhältnis verändert?«, frage ich. »Würden Sie auch fünf Leben opfern, um fünfhundert zu retten? Oder sagen wir zehn für elf?«
»Wir könnten die Leute befragen«, gibt er sarkastisch zurück. »Ich kriege elf Stimmen, sie nur zehn. Ich gewinne.«
Ich verstehe flüchtig und entnervt, was er sagen will, aber ich kann keine Welt akzeptieren, die so brutal schwarz und weiß ist. Mord, Vergewaltigung und Folter sind terroristische Methoden und keine Werkzeuge zivilisierter Gesellschaften. Welche Hoffnung haben wir, wenn wir werden wie sie?
Shawcroft hält sich für einen moralischen, wohltätigen, frommen Menschen, aber das ist er nicht. Er ist korrumpiert worden. Er ist nicht mehr Teil der Lösung, sondern Teil des Problems – er lässt Frauen schmuggeln, verkauft Babys und beutet Hilflose aus.
»Nichts gibt Ihnen das Recht zu dieser Entscheidung«, erkläre ich ihm.
»Ich habe die Rolle angenommen.«
»Sie halten sich für Gott!«
»Ja. Und wissen Sie warum? Weil irgendjemand es machen muss. Rührselige Gutmenschen von Ihrer Sorte leisten nur Lippenbekenntnisse für die Armen. Sie tragen farbige Armbänder und behaupten, eine Welt ohne Hunger schaffen zu wollen. Wie denn?«
»Es geht hier nicht um mich.«
»Doch.«
»Wo sind die Zwillinge?«
»In einer liebevollen Umgebung.«
»Wo?«
»Dort, wo sie hingehören.«
Die Pistole liegt warm wie Blut in ihrem Halfter. Ich schließe meine Finger um den Griff. In einer einzigen
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