Todeskampf - Robotham, M: Todeskampf - The Night Ferry
»Ein Ausrutscher.« Er trinkt einen Schluck von seinem Bier und sagt dann: »Ich habe den Namen der Anwältin, die sie vertreten hat. Sie hat eine Kanzlei hier in Amsterdam.«
Weißer Schaum klebt an seiner Oberlippe. »Da ist noch etwas. Der Junge hat schon einmal den Kanal überquert. Er wurde aufgegriffen und binnen vierundzwanzig Stunden in die Niederlande zurückgebracht.«
»Er hat es wohl noch mal versucht.«
»Doppeltes Pech.«
2
Die Kanzlei der Anwältin liegt in einem vierstöckigen Gebäude an der Prinsengracht, das ein oder zwei Grad aus dem Lot ist und sich über die gepflasterte Straße neigt. Ein hoher Torbogen
führt in einen Hof, wo eine ältere Frau mit Eimer und Mopp die Steinfliesen wischt. Sie weist auf die Treppe.
Im ersten Stock betreten wir ein Wartezimmer voller Nordafrikaner, viele mit Kindern. Ein junger Mann blickt von einem Schreibtisch auf und schiebt seine Harry-Potter-Brille hoch. Wir haben keinen Termin. Er blättert die Seiten des Terminkalenders durch.
In diesem Augenblick geht hinter ihm eine Tür auf, und eine nigerianische Frau in einem voluminösen Blumenkleid kommt herein. An der Hand hält sie ein kleines Mädchen, auf ihrer Schulter schläft ein Baby.
Einen Moment lang sehe ich sonst niemanden, bevor eine kleine Frau auftaucht, als wäre sie aus den Falten des geblümten afrikanischen Kleides geschlüpft.
»Ich schicke Ihnen eine Kopie der Unterlagen, sobald ich den Widerspruch eingelegt habe«, sagt sie. »Sie müssen mir Ihre neue Adresse mitteilen, wenn Sie umziehen.«
Sie trägt eine langärmelige Baumwollbluse, eine schwarze Strickjacke und eine graue Hose und sieht sehr juristisch korrekt und geschäftsmäßig aus. Sie lächelt mich abwesend an, als ob wir uns vielleicht schon einmal getroffen hätten, sieht dann Ruiz an und erschrickt.
»Mrs. Caspar, verzeihen Sie die Störung. Wenn Sie auf ein Wort Zeit für uns hätten.«
Sie lacht. »Das klingt wirklich sehr britisch. Nur ein Wort? Ich bin beinahe versucht, Ja zu sagen, nur um zu hören, welches Sie wählen würden.«
Die Haut um ihre Augen wird faltig wie ein Pfirsichkern. »Ich bin heute sehr beschäftigt. Sie müssen warten bis – «
Sie stutzt mitten im Satz. Ich halte ihr ein Foto von Samira hin. »Ihr Bruder ist tot. Wir müssen sie finden.«
Mrs. Caspar hält die Tür auf, und wir folgen ihr in ihr Büro. Der Raum ist beinahe quadratisch mit glänzend poliertem Holzboden. Das Haus gehöre schon seit Generationen ihrer Familie,
erklärt sie. Es war erst die Kanzlei ihres Großvaters und dann die ihres Vaters.
Auch wenn sie uns das unaufgefordert erzählt, zeigt Mrs. Caspar ansonsten die natürliche Vorsicht einer Anwältin.
»Sie sehen nicht aus wie eine Polizistin«, sagt sie zu mir. »Ich dachte, Sie würden vielleicht meine Dienste brauchen.« Sie wendet sich an Ruiz. » Sie hingegen sehen genau aus wie ein Polizist.«
»Nicht mehr.«
»Erzählen Sie mir von Hasan«, sagt sie wieder an mich gewandt. »Was ist mit ihm passiert?«
»Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«
»Vor elf Monaten.«
Ich beschreibe den Fund seiner Leiche und berichte, dass mein Name und meine Adresse in seine Kleidung eingenäht waren. Mrs. Caspar blickt aus dem Fenster und ist möglicherweise den Tränen nahe, aber ich glaube nicht, dass eine Frau wie sie Fremden gegenüber ihre Gefühle zeigen würde.
»Warum hatte er Ihren Namen?«
»Ich hatte gehofft, dass Sie mir das sagen können.«
Sie schüttelt den Kopf.
»Ich versuche Samira zu finden.«
»Warum?«
Was soll ich darauf antworten? Ich beschließe, mich kopfüber in die Geschichte zu stürzen. »Ich glaube, eine Freundin von mir, die keine Kinder haben konnte, hat versucht, in Amsterdam ein Baby zu kaufen. Ich glaube, sie hat Samira getroffen.«
»Samira hat kein Baby.«
»Nein, aber sie hat eine Gebärmutter.«
Mrs. Caspar sieht mich ungläubig an. »Eine Muslima vermietet ihre Gebärmutter nicht. Sie müssen sich täuschen.«
Die Aussage hat die Grobheit und Gewissheit eines Dogmas. Sie geht zu einem Aktenschrank, nimmt eine Mappe heraus und überfliegt ihren Inhalt.
»Meine Regierung heißt Asylsuchende nicht willkommen. Man macht es ihnen zunehmend schwieriger. Wir haben sogar eine Ministerin für Einwanderung, die behauptet, dass nur zwanzig Prozent der Asylbewerber echte Flüchtlinge seien, wie sie es nennt – der Rest sind Lügner und Betrüger.
Leider werden auch berechtigt Asylsuchende verteufelt. Sie werden wie
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