Todeskampf - Robotham, M: Todeskampf - The Night Ferry
dass es höchste Zeit wird, dass Sie sich ein eigenes Leben aufbauen. Ich versuche, Ihnen den Namen einer Seitenstraße durchzugeben. Vor uns ist jedenfalls ein Kanal. «
»Welcher?«
»Die sehen doch alle gleich aus.«
Im Hintergrund höre ich Musik und Mädchen, die aus den Fenstern rufen.
»Moment«, sagt er. »Barndesteeg.«
Im ockerfarbenen Schein einer Laterne klappe ich meinen Touristen-Stadtplan auf und fahre mit dem Finger an dem Straßenindex entlang, bis ich den Verweis auf den Quadranten gefunden habe. Sie sind nicht weit entfernt.
In Filmen und Fernsehserien sieht es immer so leicht aus, jemanden unbemerkt zu verfolgen, aber in der Realität ist das etwas ganz Anderes. Wäre dies eine offizielle polizeiliche Beschattung, hätten wir zwei Wagen, einen Motorradfahrer und zwei oder drei Beamte zu Fuß. Jedes Mal, wenn sich die Zielperson umdreht, würde sie jemand anderen sehen. Aber solcher Luxus steht uns nicht zur Verfügung.
Ich überquere die Sint Jansbrug und gehe schnell am Kanal
entlang. Ruiz ist einen Block weiter östlich und kommt mir auf dem Stoofsteeg entgegen. Der Teenager muss direkt an mir vorbeigehen.
Auf dem Bürgersteig drängeln sich die Passanten, immer wieder streife ich fremde Schultern. Die Luft riecht nach Haschisch und Bratfett.
Ich sehe ihn erst im letzten Moment, als er schon fast an mir vorbei ist. Er hat hohle Wangen und gegeltes Haar und hüpft vom Bürgersteig in den Rinnstein und zurück, um den anderen Fußgängern auszuweichen. Er trägt eine Stofftasche über der Schulter, aus der eine Flasche Cola ragt. Er sieht sich um. Er weiß, dass er verfolgt wird, aber er wirkt nicht ängstlich.
Ruiz hat sich zurückfallen lassen, und ich übernehme. Wir überqueren die Brücke auf demselben Weg, auf dem ich gekommen bin. Er geht näher am Wasser als an den Häusern. Warum wählt er die offene Seite der Straße, wenn er einen Verfolger abschütteln will?
Dann dämmert es mir – er lockt Ruiz weg. Irgendjemand am Bahnhof muss Samira gekannt haben, und er wollte nicht, dass Ruiz ihn oder sie findet.
Er bleibt stehen und wartet. Ich gehe an ihm vorbei. Der DI taucht nicht auf. Der Junge kehrt um und bleibt erneut stehen, bis er sich vollkommen sicher wähnt.
Als er schließlich weitergeht, sieht er sich nicht mehr um. Ich folge ihm durch die engen Gassen bis zur Warmoesstraat und weiter zum Dam. Neben einem Denkmal wartet er, bis ein schlankes Mädchen in Jeans und einer rosa Cordjacke auftaucht. Ihre Haare sind kurz und glatt und haben die Farbe kräftigen Tees.
Er redet gestikulierend auf sie ein. Ich rufe Ruiz auf seinem Handy an. »Wo sind Sie?«
» Hinter Ihnen.«
»Haben Sie im Bahnhof ein Mädchen in Jeans und rosa
Cordjacke gesehen? Dunkle Haare. Höchstens zwanzig. Und noch ganz hübsch.«
»Samira?«
»Nein, ein anderes Mädchen. Ich glaube, er hat versucht, Sie wegzulocken. Er wollte nicht, dass Sie sie finden.«
Die beiden diskutieren immer noch. Das Mädchen schüttelt den Kopf. Er zupft an ihrem Ärmel. Sie reißt sich los. Er schreit irgendwas. Sie dreht sich nicht um. »Sie trennen sich«, flüstere ich in mein Handy. »Ich folge dem Mädchen.«
Sie hat einen eigenartigen Körperbau, einen langen Oberkörper, kurze Beine und leicht nach außen gespreizte Füße. Sie nimmt einen blauen Schal aus der Tasche. Es ist ein Hijab – ein Kopftuch. Sie könnte Muslimin sein.
Angesichts der Menschenmassen und des Verkehrs bleibe ich dicht hinter ihr. Die Gleise, auf denen Straßenbahnen ein Turnier auskämpfen, teilen die breiten Straßen. Autos und Fahrräder schlängeln sich wuselnd um sie herum. Das Mädchen ist so klein. Ich verliere sie immer wieder aus den Augen.
Eben war sie noch vor mir und jetzt? Wohin ist sie verschwunden ? Ich renne los, blicke vergeblich in Türen und Ladenfenster, spähe in Seitenstraßen, kann ihre rosa Jacke und ihren blauen Hijab jedoch nirgendwo entdecken.
Auf einer Verkehrsinsel drehe ich mich einmal um die eigene Achse, bevor ich einen Schritt nach vorn mache. Ich höre ein schrilles Klingeln. Mein Kopf schnellt herum. Eine unsichtbare Hand reißt mich zurück, bevor eine Straßenbahn mit lautem Getöse so dicht an mir vorbeifährt, dass ich den Luftzug auf der Haut spüre.
Das Mädchen in der rosa Jacke starrt mich an, ihr Herz schlägt noch schneller als meins. Die Ränder unter ihren Augen sind Zeichen von Frühreife oder Spuren davon, dass sie geschlagen wurde. Sie wusste, dass ich sie verfolgt habe. Sie hat mir
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