Todeskampf - Robotham, M: Todeskampf - The Night Ferry
ab. Eine unmittelbare Reaktion. Zala schüttelt vehement den Kopf und weigert sich, das Bild noch einmal anzusehen.
Schwester Vogel versucht, sie zu beruhigen. Ihre Stimme ist sanft, und ihre Hände sind noch sanfter. Aber Zala schüttelt nur weiter den Kopf, ohne den Blick vom Boden zu heben.
»Fragen Sie sie, ob sie Samira kennt.«
Schwester Vogel macht die entsprechenden Zeichen, aber Zala weicht zurück.
»Ich muss wissen, wo Samira ist.«
Die Nonne schüttelt den Kopf und sagt tadelnd: »Wir verschrecken die Leute hier nicht.«
Zala ist bereits an der Tür. Wegen der schweren Suppenbehälter kann sie nicht rennen. Als ich ihr folgen will, packt Schwester Vogel meinen Arm. »Bitte, lassen Sie sie in Ruhe.«
Ich sehe sie flehend an. »Ich kann nicht.«
Zala ist schon auf der Straße, wo sie sich noch einmal umsieht. Ihre Wangen glänzen im Licht der Laternen. Sie weint. Eine Strähne hat sich unter ihrem Hijab gelöst, aber sie hat keine Hand frei, um sie aus dem Gesicht zu streichen.
Der DI geht nicht an sein Handy. Wahrscheinlich ist der Akku endgültig leer. Ich lasse mich zurückfallen und folge Zala, die mich vom Kloster wegführt. Straßen und Kanäle wirken nicht mehr vertraut und sind von vergammelten Häusern gesäumt, die in zahllose Mini-Apartments, Wohnungen und Maisonetten unterteilt sind. Die Klingelknöpfe bilden lange ordentliche Reihen.
Wir kommen an einer Reihe kleiner, verbarrikadierter Läden vorbei. An der nächsten Ecke überquert sie die Straße und tritt durch ein Tor. Es gehört zu einem großen heruntergekommenen Wohnblock im Zentrum eines T-förmigen Komplexes. Vor den dunklen Backsteinmauern sehen die Sträucher aus wie grüne Wattebäusche. Die Fenster im Erdgeschoss sind vergittert, in den oberen Stockwerken sind die Läden geschlossen. Dahinter brennt Licht.
Ich gehe an dem Tor vorbei und überprüfe, ob es keine anderen Eingänge gibt. Ich wünschte, Ruiz wäre hier. Was würde er machen? An die Tür klopfen? Sich vorstellen? Nein, er würde warten und beobachten, sehen, wer kommt und geht, den Rhythmus des Ortes studieren.
Ich blicke auf meine Uhr. Es ist gerade mal kurz nach acht.
Wo ist er? Hoffentlich hat er meine SMS mit der Adresse bekommen.
Der Wind ist aufgefrischt. Blätter und Papierfetzen tanzen um meine Füße. In dem Nachbareingang bin ich geschützt. Und versteckt.
Mir fehlt die Geduld für Überwachungen. Ruiz ist gut darin. Er kann sich gegen alles abschotten und konzentriert bleiben, ohne sich von irgendwas ablenken zu lassen oder in Tagträumen zu verlieren. Wenn ich zu lange auf eine Szene starre, brennt sie sich mir ins Unbewusste, wo sie dann als Endlosschleife läuft, bis ich die Veränderungen nicht mehr wahrnehme. Deshalb werden polizeiliche Überwachungsteams auch alle paar Stunden abgelöst. Ausgeruhte Augen.
Ein Wagen parkt in der zweiten Reihe, und ein Mann betritt das Gebäude. Fünf Minuten später kommt er mit drei Frauen wieder heraus. Schick gekleidet. Dressed to kill. Es riecht nach Sex, würde Ruiz sagen.
Zwei andere Männer kommen heraus, um zu rauchen. Sie machen es sich mit gespreizten Beinen auf der Treppe bequem. Ein kleiner Junge schleicht sich von hinten an und hält einem der beiden die Augen zu. Vater und Sohn balgen verspielt, bis der Kleine wieder hineingeschickt wird. Sie sehen aus wie Einwanderer. An einen Ort wie diesen würde Samira gehen, um in der größeren Masse unterzutauchen.
Ich kann hier nicht den ganzen Abend rumstehen, aber ich kann es mir auch nicht leisten, wegzugehen und die Spur zu ihr womöglich zu verlieren. Es ist schon fast neun. Wo zum Teufel bleibt Ruiz?
Die Männer auf der Treppe blicken hoch, als ich auf sie zukomme.
» Samira Khan?«
Einer wirft den Kopf nach hinten und deutet nach oben. Ich gehe um sie herum. Die Tür steht offen. Im Flur riecht es nach Kochgewürzen und eintausend ausgedrückten Zigaretten.
Drei Kinder spielen am Fuß der Treppe. Eins packt mein Bein und versucht, sich hinter mir zu verstecken, bevor es wieder davonrennt. Ich steige in den ersten Stock. Neben der Wohnungstür reihen sich leere Gasflaschen neben Mülltüten. Ein Baby schreit. Kinder streiten. Gedämpftes Gelächter dringt durch die dünnen Wände.
Vor einer Wohnung stecken zwei Mädchen im Teenageralter die Köpfe zusammen und tauschen Geheimnisse aus.
»Ich suche Samira.«
Eine der beiden zeigt nach oben.
Ich steige Stockwerk um Stockwerk höher. Das Linoleum unter meinen Füßen ist wellig, von den
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