Todeskette
würde.«
»Kommen wir zu Lavinia …«
»Nun ja…« Tweed hielt einen Moment inne. »Mir scheint sie nach Bella die intelligenteste Person in der Familie zu sein, aber ganz schlau werde ich nicht aus ihr. Ich bin mir fast sicher, dass sich hinter ihren großen blauen Augen neben einem enorm starken Willen noch ganz andere Dinge verbergen.«
»Außerdem ist sie sehr attraktiv und bekleidet einen wichtigen Posten.
Chefbuchhalterin, das ist schon was.«
»Aber Crystal ist auch attraktiv«, meinte Tweed. »Und außerdem jünger.«
»Was halten Sie von Warner Chance, dem Vater von Crystal und Leo? Mir kam er ja ziemlich still vor.«
»Den empfand ich als am charakterstärksten in der ganzen Familie. Wieder mal mit Ausnahme von Bella, versteht sich.«
»Zwei Dinge gehen mir nicht aus dem Sinn«, sagte Paula nachdenklich. »Das erste ist Bellas Bemerkung zum Abschied, dass sie Sie gut hätte gebrauchen können, um auf ihren Schatz aufzupassen…«
»Das fand ich auch ziemlich merkwürdig.«
»…und das zweite Snapes Reaktion, als Sie ihre Bemerkung unten in der Bibliothek ihm gegenüber erwähnt haben. Das hätte sie Ihnen nie sagen dürfen, hat er gesagt. Warum nur?«
»Keine Ahnung.«
»Irgend etwas muss das zu bedeuten haben.«
»Mit Sicherheit. Aber wir wissen nicht, was. Irgendwie kam mir Hengistbury Manor wie ein Ort vor, an dem jeden Augenblick eine Zeitbombe explodieren kann.«
»Zum Glück sind wir nicht mehr dort. Fanden Sie diesen Snape denn auch so merkwürdig?«
»Merkwürdig ist gar kein Ausdruck. Während Sie weg waren, habe ich ein paar Erkundigungen über ihn eingezogen. Er war als Söldner im Bosnien-Krieg und hat dort zwei unbewaffnete Muslime von hinten erschossen. Snape konnte einer Verurteilung durch ein Kriegsgericht nur deshalb entgehen, weil der einzige Zeuge unglaubwürdig war. Der Mann ist brandgefährlich, auch wenn er so tut, als könne er kein Wässerchen trüben.«
»Und dann ist da noch die Geschichte mit dem Gold…«, sinnierte Paula.
»Ich hoffe, dass Bob Newman mir, wenn ich ihn frage, mehr darüber sagen kann. Immerhin war er Journalist, bevor er zu uns kam.«
Als Tweed ein Gähnen unterdrückte, stand Paula auf und räumte den Tisch ab. Sie hatte Tweed lange genug Löcher in den Bauch gefragt. Tweed half ihr dabei, und im Nu war alles Geschirr in der Spülmaschine.
»Ab ins Bett«, sagte Paula.
»Sie sagen es.« Tweed gähnte ein weiteres Mal. »Und morgen im Büro zeichnen Sie mir bei Gelegenheit das Gesicht dieses Evelyn-Ashton, den Sie im Duke’s Head getroffen haben. Sie haben doch im letzten Jahr diesen Phantombilder-Zeichenkurs gemacht, oder nicht?«
»Ja, habe ich. Gleich morgen früh zeichne ich Ihnen sein Gesicht.«
9
Am liebsten hätte Tweed sich voll bekleidet ins Bett gelegt, so müde war er.
Kaum hatte er sich ausgezogen und hingelegt, war er auch schon eingeschlafen.
Paula fand im Gästezimmer hingegen keinen Schlaf, weil sie immer wieder an den Vorfall mit Evelyn-Ashton denken musste. Ständig sah sie sein Gesicht vor sich, dessen Miene sich im Lauf des Gesprächs komplett verändert hatte. Schließlich stand sie auf, schlich auf Zehenspitzen ins Wohnzimmer und nahm sich aus einer Schublade einen Zeichenblock und Kohlestifte. Dann setzte sie sich an einen Tisch und fing an, aus dem Gedächtnis das Gesicht von Evelyn-Ashton zu zeichnen.
Nach einer Weile hörte sie, wie langsam ein Wagen die Straße entlangfuhr. Sie trat ans Fenster und öffnete vorsichtig die Vorhänge einen Spaltbreit. Vor dem Haus hielt ein brauner Ford an. Ein Mann stieg aus, den Paula im Licht einer Straßenlaterne eindeutig als Evelyn-Ashton erkannte. Er holte mit dem rechten Arm aus und warf etwas in Richtung Haus, und Sekundenbruchteile später hörte Paula, wie die Fensterscheibe von Tweeds Schlafzimmer zerbrach.
Als sie hinüberrannte, war Tweed bereits aus dem Bett gesprungen.
Automatisch hatte er die Nachttischlampe angeknipst, in deren Licht Paula auf dem Zimmerboden ein Objekt von der Größe eines großen Kiefernzapfens sah.
»Schnell! Ins Wohnzimmer!«, schrie sie. »Das ist eine Handgranate!«
Tweed setzte sich blitzschnell in Bewegung, aber anstatt aus dem Schlafzimmer zu fliehen, packte er das Objekt und warf es aus dem Fenster.
Während er und Paula auf die Detonation warteten, hörten sie, wie der Ford mit laut aufheulendem Motor davonfuhr.
Danach blieb es still.
»Ich rufe Harry Butler an«, sagte Tweed. »Schließlich ist er unser
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